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"Liefern Sie mir das perfekte Öl, und ich baue Ihnen ein optimales Uhrwerk." Mit diesem knappen Satz brachte der uhrmacherische Altmeister Abraham-Louis Breguet ein leidiges Problem seiner Handwerkszunft schon vor gut 200 Jahren auf den Punkt: die Schmierung mechanischer Zeitmesser. Insbesondere die Hemmung, wo die Palettensteine des Ankers und der Zähne des Ankerrads keineswegs sanft aufeinander treffen, erweist sich in diesem Zusammenhang als echte Schwachstelle tickender Mikrokosmen. Zentrifugalkräfte tun ein Übriges, um das Öl von dort zu vertreiben, wo es eigentlich hingehört.

Die Uhrenindustrie hilft sich durch das so genannte "Epilamisieren", also die Vorbehandlung der zu ölenden Fläche durch einen hauchdünnen Film aus Stearinsäure. Er soll das Verlaufen des unverzichtbaren Öls verhindern. Aber auch das ist nur eine Sache von begrenzter Dauer. Die deutlich bessere Alternative besteht darin, ganz auf das Öl zu verzichten. Nur macht Reibung verschiedener Materialien aufeinander die Sache nicht unbedingt einfach.

Mit der Bewältigung dieses Problems beschäftigte sich der britische Meister-Uhrmacher George Daniels über Jahre hinweg. Seine Lösung bestand in einer neuen, "koaxialen Ankerhemmung", die ohne Schmierung auskommt. Bei Omega tritt das komplexe Gebilde, welches eine völlig neue Werkskonstruktion verlangt, an die Stelle der überlieferten Schweizer Ankerhemmung.

Die Genfer Nobelmanufaktur Patek Philippe, der George Daniels seine Erfindung ebenfalls angeboten hatte, hat die Thematik nun auf andere Weise angepackt. Und diese Entwicklung kann im wahrsten Sinne des Wortes als bahnbrechend bezeichnet werden. Sie belegt, dass sich Tradition und Innovation auf dem Gebiet der höchsten Uhrmacherkunst keineswegs ausschließen müssen.

Mit anderen Worten: Die altbewährte Schweizer Ankerhemmung bleibt grundsätzlich, wie sie ist. Allerdings muss das stählerne, auf Öl angewiesene Ankerrad einem neuartigen Exemplar aus Silizium weichen, welches man als Basismaterial in der Halbleiterindustrie kennt und über dieselbe Kristallstruktur wie Diamant verfügt. Silizium ist extrem leicht, ausgesprochen hart, antimagnetisch, sehr korrosionsfest und formgenauer als jedes Hemmungsrad aus Stahl. Außerdem besitzt es eine überaus glatte Oberfläche.

Das allein würde aber noch keine Revolution bedeuten. Der zukunftsweisende Aspekt des Winzlings besteht darin, dass die Ruheflächen seiner Zähne nie und nimmer geschmiert werden müssen. Dieser uhrmacherische Quantensprung ist freilich leichter beschrieben als getan. Er setzte eine langjährige Forschungsarbeit voraus, welche Patek Philippes Abteilung "Nouvelle technologie" zusammen mit namhaften externen Forschungsinstitutionen, Entwicklungslaboratorien und Ausbildungsstätten bewältigt hat. Dazu gehören u. a. die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne, das Institut für Mikrotechnik der Universität Neuenburg oder die Genfer Ingenieurschule.

Das in enger Kooperation entwickelte Ankerrad

... aus monokristallinem Silizium ist infolge der geringeren Materialdichte um zwei Drittel leichter als ein entsprechendes Teil aus Stahl. Dieses Faktum ist speziell beim Hemmungsrad von eminenter Bedeutung, weil es abhängig von der Unruhfrequenz sechs- bis achtmal pro Sekunde gestoppt und wieder beschleunigt wird. Hochgerechnet sind das bei einer Frequenz von vier Hertz 28.800-pro Stunde, 691.200-mal pro Tag oder - aufs Jahr bezogen - 252 Millionen Mal.

Weil eine klassische Schweizer Ankerhemmung allein in ihrem Hemmungsmechanismus 65 Prozent der zu übertragenden Energie absorbiert, bringt jedes Minus an Hemmrad-Masse mehr Kraft für die alles entscheidenden Schwingungen der Unruh. Bekanntlich liefert Patek Philippe alle seine Uhrwerke mit dem bekannten Genfer Siegel.

Im Reglement zur Erteilung desselben heißt es: "Das Hemmungsrad muss leicht sein, seine Materialstärke darf 0,16 mm bei großen Teilen bzw. 0,13 mm bei kleinen Teilen mit einem Durchmesser unter 18 mm nicht übersteigen, seine Ruhen müssen poliert sein." Diese Vorgaben erfüllt ein Siliziumrad mit Leichtigkeit. Zudem sind seine Ruheflächen deutlich glatter als die eines äußerst sorgfältig polierten Ankerrads aus Stahl.

Dank den physikalischen Eigenschaften von Silizium, seiner Härte, seiner Oberflächenbeschaffenheit, seiner geringen Dichte und seines hervorragenden Reibungskoeffizienten im Kontakt mit Rubin liefert ein Uhrwerk mit Silizium-Hemmungsrad ohne Schmierung mindestens dieselbe Leistung wie ein herkömmliches Uhrwerk. Und das bei höherer Dauerzuverlässigkeit.

Doch damit nicht genug: Die Herstellung eines stählernen Hemmungsrades nach den Kriterien des Genfer Siegels verlangt vom Stanzen über das Fräsen und Anglieren bis hin zum Polieren mindestens 30 verschiedene Arbeitsgänge. Die Fertigung von Siliziumrädern in Waver-Technologie benötigt dagegen nur einen einzigen Arbeitsprozess, der am Ende perfekt geformte, zentrierte, ausgewuchtete Teile mit optimal geglätteten Oberflächen erbringt. Diese geben ihr Debüt in den Automatikkalibern 315 der limitierten Armbanduhren des neuen Konzeptes "Patek Philippe Advanced Research" und sagen dem Öl Ade. (Gisbert L. Brunner/Der Standard/rondo/04/03/2005)