Eben noch hatten sich Deutschlands Sozialdemokraten in den Umfragen erholt, da folgte bei den Landtagswahlen von Schleswig-Holstein die kalte Dusche von der Nordsee her. Die Diagnose von Kanzler Gerhard Schröder, die Bürger begännen seine teils schmerzhaften Sozialreformen zu honorieren, war wohl etwas voreilig.

Schröder scheint darauf zu zählen, dass sich das erreichbare Maß an Veränderung von selbst ergibt, wenn er nur die richtigen Leute an die richtigen Stellen setzt. Als Signal an die Wirtschaft holte er sich nach seiner knappen Wiederwahl 2002 den Macher Wolfgang Clement als Superminister. Um die aufgeschreckte Parteilinke zu beruhigen, übergab er später den SPD-Vorsitz an den bei den Funktionären beliebten Franz Müntefering. Jetzt haben Clements Pläne für eine weitere steuerliche Entlastung der Unternehmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland eine massive Gegenbewegung in der Partei hervorgerufen, mit Müntefering an der Spitze.

Gleichzeitig ist die durch die Arbeitsmarktreform ohnedies aufgeweichte soziale Flanke zusätzlich bedroht, und zwar von unerwarteter Seite. In der Affäre um Missbrauch von Einreisevisa wird der grüne Außenminister Joschka Fischer vom Sympathieträger langsam zur Belastung für den Kanzler. In Nordrhein- Westfalen, dem bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland, wird im Mai gewählt. Die dortige SPD befürchtet Schlimmes, wenn der Eindruck entstehe, "die Regierung lasse in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit massenweise Fremde ins Land, die der Bevölkerung dann als Schwarzarbeiter die Arbeit wegnehmen".

Fischer, der die "politische" Verantwortung für die Visa-Affäre übernommen hat, wird näher erklären müssen, was das konkret bedeutet. Und Schröder wird vielleicht mehr darüber nachdenken, ob vermeintliche oder tatsächliche Zugpferde in Regierung und Partei eigene Führungsstärke ersetzen können. (DER STANDARD, Printausgabe, 26./27.2.2005)