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foto: ap/ceneta
In den letzten Jahren haben zahlreiche Experten und Kommentatoren die Meinung vertreten, die Atlantische Allianz werde zerfallen oder in der Bedeutungslosigkeit versinken. Als ehemaliger amerikanischer Botschafter bei der Nato kann ich aus Erfahrung sagen, dass derartig düstere Prognosen nicht neu sind. Als gegenwärtiger amerikanischer Verteidigungsminister ist mir klar, dass die transatlantische Partnerschaft so bedeutsam und unentbehrlich ist wie eh und je.

Zum Thema Irak gab es zuletzt zwar ein paar Meinungsverschiedenheiten, aber unter langjährigen Freunden sind derartige Probleme nicht neu. Man denke nur an die Kontroversen, die es unter den Nato-Bündnispartnern in den letzten Jahrzehnten gab: In den 1960er-Jahren entschied Frankreich, sich aus dem Bündnis zurückzuziehen und die Nato aus dem Land zu weisen. In den 1980er-Jahren kam es zu schweren Unstimmigkeiten aufgrund der Entscheidung von Präsident Ronald Reagan, in Europa Mittelstreckenraketen zu stationieren. Als Nato-Botschafter musste ich in den 1970er-Jahren zurück nach Amerika fliegen, um mich gegen eine Gesetzesvorlage des US-Kongresses zu wenden, die den Abzug der US-Truppen aus Europa vorsah, und das mitten im Kalten Krieg.

Unsere Atlantische Allianz hat im Laufe der Jahre schon manch schwere Zeit durchgemacht, aber es gelang uns immer, auch für die schwierigsten Probleme eine Lösung zu finden. Und zwar deshalb, weil uns so viel verbindet: gemeinsame Werte, eine gemeinsame Geschichte und der unerschütterliche Glaube an die Demokratie.

Heute haben wir auch einen gemeinsamen Feind. Extremisten haben alle zivilisierten Gesellschaften auf der ganzen Welt ins Visier genommen: in New York, Istanbul, Madrid, Beslan, Bali und anderswo. Sie wollen keinen Waffenstillstand und keinen Separatfrieden, und nichts wäre ihren Zwecken dienlicher als Zwietracht zwischen Amerika und Europa.

Erprobte Effizienz

Die Inhaftierung zahlreicher Terrorismusverdächtiger im letzten Monat durch französische und deutsche Behörden hat deutlich gemacht, dass keine Nation die entscheidende Arbeit allein leisten kann, um den Kampf gegen die Extremisten zu gewinnen. Oftmals im Hintergrund kooperieren die Geheimdienste amerikanischer und europäischer Länder, ergreifen Terroristen und zerstören deren finanzielle Basis. Aufgrund dieser Bemühungen wurden drei Viertel aller bekannten Al-Kaida-Anführer getötet oder gefangen, andere befinden sich auf der Flucht.

Ebenso wenig kann ein Land allein die Verbreitung gefährlicher Waffen stoppen. Aus diesem Grund und um tödliche Waffen von gefährlichen Regimes fern zu halten, haben sich rund 60 Länder in einer Sicherheitsinitiative zusammengeschlossen. Und als im Jahr 2003 deutsche, italienische, britische und US-Behörden für Tripolis bestimmtes atomares Gerät konfiszierten, hat das Libyen zur Entscheidung veranlasst, seine Waffenarsenale den Inspektoren zugänglich zu machen.

Militärangehörige jedes Nato-Mitgliedslandes dienen in der Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan, deren Führung gerade ein türkischer General von einem französischen übernommen hat. Eines der jüngsten Nato-Mitglieder, nämlich Litauen, übernimmt die Führung eines Regionalen Wiederaufbauteams und schließt sich somit den Bestrebungen anderer europäischer Länder an, einen Beitrag zur Stabilität Afghanistans zu leisten.

Tatsächlich entsandten mehr als die Hälfte aller Nato-Mitgliedsländer Truppen sowohl nach Afghanistan als auch in den Irak. Nachdem die Bewohner des Irak weitere Schritte auf dem mühsamen Weg zur Demokratie unternehmen, haben sich auch mehr Nato-Länder bereit erklärt, einen Beitrag zur Ausbildung irakischer Sicherheitskräfte zu leisten.

Die Nato-Mitglieder verbindet viel mehr als die bloße Bündnisstruktur, nämlich Blutsbande und Zielvorstellungen, eine Tradition der Freiheit und der Auftrag, uns der Gewalt der Extremisten entgegenzustellen - und sie zu bezwingen.

Kraft durch Einheit

In den 60 Jahren seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges haben wir uns in Zeiten der Gefahr stets aufeinander verlassen. Ich bin alt genug, um mich sowohl an den Bau als auch an den Fall der Berliner Mauer zu erinnern, an den Aufstieg und den Zusammenbruch von Nazismus, Faschismus und Sowjetkommunismus. Gemeinsam haben die Nato-Mitglieder den Kosovo geschützt und in jüngster Vergangenheit die Opfer des verheerenden Tsunamis mit Hilfsgütern versorgt. Wenn das atlantische Bündnis geeint vorgeht, ist es zu großartigen Leistungen fähig.

Einigkeit heißt nicht, immer gleicher Meinung sein zu müssen, wohl aber die gleichen Ziele zu verfolgen. Alle, die freie Politik- und Wirtschaftssysteme schätzen, haben ähnliche Hoffnungen. Wenn wir zusammenarbeiten, können diese Hoffnungen für viel mehr Menschen Wirklichkeit werden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.2.2005)