Wien - Die Ergebnisse der Pisa-Studie machten dringenden Handlungsbedarf deutlich und stellen die Frage nach einer Reformierung des Schulsystems. Ein oft diskutierter Lösungsvorschlag ist die Gesamtschule, eine einheitliche Schule für Sechs- bis 14-Jährige, mit der eine strukturelle Trennung nach der Volksschule verhindert würde.

Doch auch die Regierungsparteien sind sich in dieser Frage nicht einig. ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon sieht keinen Sinn darin, an dem "bestehenden, sehr guten System" etwas zu ändern; unser Land sei auf so eine Veränderung nicht vorbereitet. Er erkennt aber Defizite bei Hauptschulen im städtischen Bereich. Jörg Haider (FPÖ) ist für die Einführung der Gesamtschule, da sie "auf die unterschiedlichen Leistungsstrukturen Rücksicht nimmt". Auch die SP befürwortet ei- ne Veränderung des Schulsystems. Klubchef Josef Cap: "Bei uns ist es eher eine K.-o.-Kultur, also zack und aussortiert."

Eine Gesamtschule, wie sie sich die Grünen vorstellen, ermöglicht "das Lernen in Gruppen von Schwächeren und Besseren in altersübergreifenden Lernsituationen und individuelle Förderpläne". Der grüne Bildungssprecher Dieter Brosz befürwortet eine Gesamtschule für alle neun Jahre der Schulpflicht, "wodurch die polytechnischen Schulen nicht mehr notwendig wären".

Brosz erwähnt auch die Defizitorientierung bei Förderungen im österreichischen Schulsystem. "Man beschäftigt sich mit den Gegenständen, in denen man Schwierigkeiten hat, und weniger mit jenen, wo seine Stärken liegen. Ganztagsschulen, wo der Unterricht über den ganzen Tag verteilt ist, bieten die Möglichkeit, Begabungen zu fördern." Auch Amon spricht sich für die Ganztagsschule aus, allerdings auf Wahlbasis. Er hält dies gerade "angesichts der steigenden Zahl an berufstätigen Frauen" für sinnvoll. "Das Familienleben kann ja am Abend oder am Wochenende stattfinden", meint Cap dazu. Auch Schulqualitätsforscher Werner Specht sieht für die Familien "positive Auswirkungen" (siehe Interview).

Schule als Fulltimejob

Brosz macht darauf aufmerksam, dass Ganztagsschulen bauliche Veränderungen beanspruchen, "welche auf 400 Millionen Euro geschätzt werden" und für die der Staat aufzukommen habe. Schulgeld sollte es nicht geben. "Man muss eine soziale Staffelung verhindern und die Schulen für alle zugänglich machen." Amon spricht gar von einer Festlegung der Schulgeldfreiheit in der Verfassung. Für das Mittagessen will Cap "höchstens einen Essensbeitrag" von den Eltern verlangen. Haider: "Wenn ich denke, dass jährlich sechs Milliarden Schilling für Nachhilfeunterricht ausgegeben werden, dann sparen sich die Familien relativ viel Geld und können sich vielleicht auch die Beiträge für eine erweiterte Schule leisten."

Dass ein erfolgreiches neu- es Schulkonzept grundlegende Veränderungen nötig hat, weiß Brosz. "Es geht nicht nur darum, Türschilder auszutauschen. Eine Schule muss sich auch ändern können und Elemente integrieren, die im Moment sicher zu kurz kommen".

(Katharina Grabner, Teresa Ott, Nina Palmstorfer/DER STANDARD-Printausgabe, 15.2.2005)