Jägerstätter (Joachim Rahtke) verharrt im abstrakten Raum seiner moralischen Entscheidung.

Foto: Landestheater Linz
Ein berückender Abend über die Macht des Neinsagens.


Linz - Pünktlich zum nationalen Gedenkjahr legt das Linzer Landestheater den Finger in eine nach wie vor offene juristisch-moralische Wunde im Bewusstsein der heimischen Republik. Lässt doch der Fall Jägerstätter all das hochkochen, was in der Nachkriegsrechtssprechung, im so genannten gesunden Volksempfinden und auch kirchlich im Umgang mit ehemaligen Deserteuren des Nazi-Regimes bis heute nicht eindeutig bewältigt wurde.

Sind einstige, in gegenwärtige oder künftige Unrechtspolitik verstrickte Wehrdienstverweigerer nichts anderes als Verbrecher oder doch Heilige? Diese höchst unangenehme, fast ketzerische Frage stellte der israelische Dramatiker Joshua Sobol mit seinem Stück Augenzeuge - der Fall Jägerstätter vor dem palästinensischen Hintergrund in seiner Heimat und jetzt erstmals in Österreich.

In der knappen, in jeder Hinsicht unaufgeregten, unpathetischen Linzer Kammerspiel-Fassung des Regisseurs Christian Wittmann und der Dramaturgin Brigitte Heusinger kommt Sobols Intention eines antidokumentaristischen "Martyrologiums" deutlich zum Tragen. Demnach ist der simple Sohn St. Radegunds mit all seinen menschlichen Schwächen als Heiliger pursten Wassers zu bewerten, verhält er sich doch nicht anders als die vorangegangene Schar der Himmlischen.

Er sagt rücksichtslos gegen sich und andere "Nein" zum Gebotenen. Er duldet wie alle am Altar Verehrten keine Tricks der lebensrettenden Selbsttäuschung, und sei es nur das symbolische Anlegen einer Uniform. Sobol geht es nur um das sprachlich ebenso einfache wie präzise Ausloten dieser "Verrücktheit". Sein Fall Jägerstätter hat nichts mit Widerstandsheroisierung oder realistischem Zeitgeschichtstheater zu tun.

Franz Jägerstätter bringt seine Umwelt, darunter den katholischen Seelenbegleiter zum Schafott, bis zur Schreiorgie aus der Fassung, weil er als schlichter Augenzeuge vom Lande seinen Wahrnehmungen traut und nicht gewillt ist, den allerkleinsten Kompromiss der Kumpanei mit dem Unrechtsregime und dessen Häschern zu schließen.

Missfallen der Massen

Figuren dieses radikalen Zuschnittes mussten immer schon beseitigt werden und haben stets das Missfallen der schmiegsamen Masse erregt. Erscheinungen dieser Art werden zum Trauma alles Bündlerischen und Kameradschaftlichen, wie man sie auch heute noch in erklecklicher Zahl findet. Das "Nein" zu jeglicher Umarmung macht sehr einsam - und auch das demonstriert die Linzer Aufführung eindrucksvoll.

Joachim Rathke und das imaginierte Quintett aus privaten Zusammenhängen und bedrohlichen Personen des Hinrichtungsapparates bewegt sich in einem minimalistischen Würfelraum aus Neonröhren. Stücke und Inszenierungen wie diese beklemmen durch ihr Beharren auf dem Wesentlichen - durch eine Sparsamkeit, die die Auslastungsorgien an größeren Stadttheatern vergessen lässt. Die angestrebte Seligsprechung einer "fragwürdigen" historischen Gestalt wird zeigen, wie stark die Schatten der Vergangenheit im Heute noch wirken. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.02.2005)