Wenn, wie gerade eben, halb Österreich dem Höhepunkt der alljährlichen Grippewelle entgegenfiebert, dann liegt der Nabel der medizinischen Welt in der Wiener Kinderspitalgasse. Hier, am Institut für Virologie, versuchen Experten dem Erreger der Krankheit auf die Spur zu kommen. "Wir wollen den Verlauf der Epidemie verfolgen", sagt Institutsleiter Franz-Xaver Heinz. "Und wir müssen beobachten, welche Arten von Grippeviren gerade zirkulieren."
Zu diesem Zweck bekommt Heinz in diesen Wochen reichlich Post aus ganz Österreich. In kleinen Päckchen schicken Ärzte Abstriche aus Rachen und Nase von Patienten, die über die typischen Grippesymptome klagen. In den Institutslabors wird festgestellt, ob sich in einer Probe tatsächlich Grippeviren finden. Ist das der Fall, wird zur Vermehrung der Viren eine Zellkultur angelegt. Erst dann ist eine genaue Typisierung des Erregers möglich.
Die aufwändige Grippebeobachtung ist Teil einer globalen, von der Weltgesundheitsorganisation WHO koordinierten Anstrengung. Sie soll verhindern, dass die Welt durch den Ausbruch einer Grippewelle überrascht wird, die Millionen von Menschenleben kostet. Diese Gefahr ist durchaus real: Etwa alle 25 Jahre wird der Planet von einer schweren Influenzawelle heimgesucht. Die schlimmste davon war die Spanische Grippe, die in den Jahren 1918/1919 rund 30 Millionen Menschenleben forderte. Die nächste schwere Grippewelle ist längst überfällig.
In Österreich wird in diesen Wochen ein eigener Pandemieplan fertig gestellt, eine Art Notfallplan für eine große Epidemie. Hier wird festgeschrieben, welche Arzneivorräte angelegt werden müssen, hier steht, wie bei einer weit verbreiteten Seuche das öffentliche Leben aufrechterhalten werden soll.
Der Grund für die regelmäßig wiederkehrenden Grippeepidemien liegt in einer Eigenheit des Erregers. Schon in den Dreißigerjahren hatten Forscher entdeckt, dass sich Grippeviren ständig verändern. Schuld daran ist das instabile genetische Material des Erregers, das ständig neue Mutationen entstehen lässt (siehe Wissen). Und das wiederum ist der Grund, warum ein Mensch mehrmals an Grippe erkranken kann: Zwar kann das Immunsystem die Viren vom Vorjahr rasch erkennen und unschädlich machen. Doch die mutierten Viren schlüpfen unerkannt durch und können eine erneute Erkrankung auslösen. Deshalb muss auch das Rezept für die Grippeimpfung jedes Jahr aktualisiert werden. Das geschieht auf Basis der Informationen aus dem globalen Grippenetzwerk.
110 Labors in 80 Ländern schicken ihre Daten und fallweise auch Proben in die vier regionalen Referenzlabors; jenes für Europa liegt in London. Bereits im Frühjahr versuchen die WHO-Experten vorherzusagen, welche Virenstämme im folgenden Herbst gehäuft auftreten werden. Auf Basis dieser Abschätzung wird dann der Impfstoff zusammengesetzt. Notwendig wird diese langfristige Vorhersage, weil die Produktion des Impfstoffes derzeit noch ein langwieriges Prozedere erfordert (siehe unten). Von der Erstellung des Impfstoffrezeptes bis zur Auslieferung der ersten Chargen können jedoch längst neue Viren aufgetaucht sein. So geschehen im Juli 1997. Die Impfstoffproduktion lief bereits auf vollen Touren, da meldete ein Labor aus Syd- ney ein neues Virus vom A-Stamm. In der Folge breitete sich der neue Erreger rasant über die Welt aus, und als auf der Nordhalbkugel der Winter ausbrach, war das Sydney-Virus das am weitesten verbreitete. Die Impfung konnte keinen Schutz dagegen bieten.
"Heuer ist uns eine solche Überraschung erspart geblieben", sagt Heinz. Die Viren, die er in den Proben entdeckt, sind jenen sehr ähnlich, die für die Herstellung der Impfung verwendet wurden. Die Impfung schützt also. Doch was passiert, wenn plötzlich ein völlig neues, besonders ansteckendes und besonders tödliches Grippevirus auftaucht?