Ottawa/Buenos Aires - Namonai Ashaona blickt fragend in die Kamera. "Ich weiß nicht, was los ist, das Eis schmilzt, die Robben verschwinden, unsere Jäger brechen mit ihren Hundeschlitten ein und sterben." Die Kamera schwenkt über die Schneewüste der Arktis und kehrt zurück zum zerfurchten Gesicht des alten Mannes vom Volk der Inuit, der so von den Veränderungen, die der Klimawandel in seiner kanadischen Heimat nahe des Polarkreises anrichtet, berichten wollte.

"Selbst unsere Anpassungsfähigkeit hat ihre Grenzen"

Ashaona selbst konnte den Teilnehmern der letzten Klimakonferenz im Dezember in Buenos Aires nicht mehr Rede und Antwort stehen - er verstarb. Seine Enkel kämpfen weiter dafür, dass ihnen die Lebensgrundlage nicht unter den Füßen wegschmilzt. "Selbst unsere Anpassungsfähigkeit hat ihre Grenzen", sagt die Vorsitzende der Inuit-Polarkreis-Konferenz, Sheila Watts Clouthier aus dem kanadischen Nunavut.

"Der Schnee, der sich für den Bau von Iglus eignet, fällt immer seltener und teilweise viel zu früh", schildert die Frau, die rund 150.000 Inuit repräsentiert. "Unsere Häuser stürzen ein, weil der Permafrost-Boden schmilzt, die Küste erodiert, Moskitos sind aufgetaucht, die Eisstraßen sind viel kürzere Zeit befahrbar, was die Kosten für Medikamente und andere Waren verteuert, weil sie dann eingeflogen werden müssen."

Wassertemperaturen erhöhen sich dramatisch

Was die Inuit beobachtet haben, stellten nun Wissenschafter im Auftrag des Arktischen Rates - dem neben den nordeuropäischen Ländern auch Kanada und die USA angehören - in einer Studie fest: Demnach schreitet die Erderwärmung in der Arktis schneller voran als im Rest der Welt. Die Lufttemperaturen seien in Alaska und Westkanada in den vergangenen 50 Jahren um drei bis vier Grad Celsius angestiegen. Selbst wenn die Emissionen nur moderat anstiegen, würde sich die Wassertemperatur in 100 Jahren um bis zu zehn Grad erhöhen. Satellitenbilder der Arktis zeigen, wie die Eiswüste zwischen 1979 und 2003 zusammengeschrumpft ist.

Eine Million Quadratkilometer Eis ist in den letzten 30 Jahren weggeschmolzen - das ist eine Fläche größer als jene von Norwegen, Schweden und Dänemark zusammen. Werde diese Entwicklung nicht gestoppt, gebe es in 100 Jahren keine Eisbären und wahrscheinlich auch keine Robben mehr, so die Forscher. Bedroht ist damit die Lebensgrundlage der Inuit, die von der Jagd und dem Fischfang leben. Watts Clouthier: "Wenn wir jetzt auch noch unsere Lebensgrundlage verlieren, haben wir als Volk keine Chance mehr." (Sandra Weiss, DER STANDARD Printausgabe 14.2.2005)