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Archivbild einer chinesischen Party für dicke Menschen: Ma Yuncheng ist nur zwei Jahre alt, wiegt aber 30 Kilogramm.

Foto: AP/Xinhua, Xie Huanchi
Berlin - Vierjährige, die 40 Kilogramm wiegen, Zwölfjährige mit über 100 Kilo und Fettleber, Achtjährige mit Altersdiabetes: Die Spezialisten an der Berliner Charité bekommen Krankheitsbilder zu sehen, die es 1990 noch nicht gab. "Die dicken Kinder werden immer dicker; das Ausmaß extremen Übergewichts nimmt dramatische Formen an", berichtet Annette Grüters-Kieslich, Leiterin des Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) der Universitätsklinik.

Die krankhaft übergewichtigen Kinder sind heute im Schnitt um fünf bis zehn Kilo schwerer als vor 15 Jahren. Allein am SPZ werden jährlich 600 Kinder mit schwerer Adipositas behandelt. In ganz Deutschland leiden schätzungsweise mindestens eine halbe Million Kinder und Jugendliche unter starkem Übergewicht. Neben den körperlichen sind auch die seelischen Folgeschäden schwerwiegend: Die Buben und Mädchen werden gehänselt, verweigern sogar den Schulbesuch.

Gründe

Die zunehmende Häufigkeit von Fettleibigkeit bei Kindern ist der Expertin zufolge auf einen veränderten Lebensstil, aber auch auf genetische Veranlagung zurückzuführen: Die Kinder bewegen sich zu wenig und vertilgen gleichzeitig neben den Hauptmahlzeiten auch noch Kalorienbomben wie Schokoriegel, Fast Food und Fruchtsäfte. Dennoch werde kalorienbewusste Ernährung und sportliche Betätigung allen schwergewichtigen Kindern nicht helfen, betont die Spezialistin für chronische Krankheiten.

Neue Untersuchungen belegten, dass für extremes Übergewicht zu 70 Prozent die genetische Veranlagung verantwortlich sei. Seit 1998 haben Wissenschafter, auch aus Grüters-Kieslichs Arbeitsgruppe, weltweit sechs Gen-Defekte für Adipositas entdeckt: Die Veränderungen im Erbgut lösen den Angaben zufolge unstillbares Hungergefühl aus und programmieren offenbar auch den Stoffwechsel um.

Forderung nach neuen Medikamenten

"Um die Folgen der genetischen Faktoren gezielt behandeln zu können, benötigen wir neue Medikamente, die fehlende Hormone, Enzyme oder Proteine ersetzen und den Appetit regulieren", fordert die Professorin. Bei Patienten mit angeborenem Leptinmangel sei dies schon erfolgreich gelungen. Zwar arbeite die Charite derzeit an weiteren Pharmakotherapien und teste im Labor neue Substanzen. "Doch der Entwicklungsaufwand neuer Medikamente für Kinder ist enorm, Kosten und Auflagen sind immens." Leider zeige die Pharmaindustrie wegen des kleinen Absatzmarktes nur ein begrenztes Interesse, beklagt Grüters-Kieslich. (APA/AP)