Sophie Trauttmansdorff

Illusions- und Dekorationsmalerin

Ich hab relativ spontan entscheiden müssen, was für mich denn nun Dekadenz versinnbildlicht. Letztendlich landeten wir vor einem Berg Kaviar. Dies deshalb, weil Kaviar immer ein Zeichen des Überflusses und Überdrusses war. Ich habe lange in St. Petersburg fürs Russische Staatsmuseum gearbeitet, dort ist irgendwie jeder Schritt total nostalgisch. Das hat mich auch immer an Völlerei und die einstige Hochkultur des Zarenreichs erinnert. Und da spielt Kaviar eine große Rolle. Heute wollen dort vor allem Touristen Kaviar essen.

Foto: Aleksandra Pawloff

Für die Russen ist das gar nicht mehr so ein Statussymbol. Trotzdem hat diese Spezialität auch in Zeiten der Zucht von Kaviar ihre Bedeutung nicht verloren. Ich find's auch was Besonderes, aber bin kein Kaviarfreak. Generell glaube ich, dass das Dekadente im Wachstum begriffen ist. Ich assoziiere mit dem Thema Überfluss, gepaart mit Wurstigkeit und Langeweile. Dekadenz steht auch für etwas Abnormales, für etwas Unnatürliches. Ob ich es als etwas Negatives empfinde? Na ja, sagen wir, es hat einen negativen Nachgeschmack. Andererseits kann ein dekadentes Erlebnis unheimlich inspirierend sein.

Foto: Aleksandra Pawloff

Erwin Ebenberger

Inhaber des Einrichtungsgeschäftes
"Der graue Rabe fliegt"

Mir geht es bei einem Beitrag zum Thema Dekadenz nicht darum, eine goldene Bananenschale ins Bild zu halten. Ich finde in meinem Geschäft keinen Gegenstand, von dem ich sage, er ist dekadent. In diesem Zusammenhang fallen mir eher die täglichen Nachrichten ein, die an unserem sozialen Gewissen rütteln, auch im Bereich von Lifestyle. Meine Entwürfe folgen einer puristischen Formensprache, welche Dekadenz und Unnötiges nicht braucht. Dekadenz und Luxus sind für mich nicht dasselbe.

Foto: Aleksandra Pawloff

Luxus soll man sich gönnen. Mir geht es um Zweckerfüllung und Harmonie im Erscheinungsbild. Um auf das Foto mit den Zeitungen zurückzukommen: Ich möchte darauf hinweisen, dass die Überwachung von Produktionsbedingungen wichtig ist. Das geht wirklich jeden von uns etwas an. Wenn zum Beispiel in Fernost Dinge für uns erzeugt werden und die Menschen bei den dortigen, niedrigen Löhnen nicht einmal davon leben können, dann ist das für mich dekadent. Leider sind wir zu einem großen Teil von solchen Dingen umgeben.

Foto: Aleksandra Pawloff

Toni Faber

Dompfarrer von St. Stephan

Für mich sind seit langer Zeit Engel sehr beliebte Sammelobjekte. Ich besitze ungefähr 30 Stück unterschiedlichster Machart. Die pausbäckigen, herumkugelnden Engel aus dem Barock sind etwas einerseits sehr Reales, andererseits etwas Überschäumendes, in die Nähe der Dekadenz Reichendes. Ich glaub natürlich nicht fest daran, dass Engel genau so ausschauen wie diese oft fast kitschigen Figuren, aber ich werde doch daran erinnert, dass eine Macht hinter ihnen steckt, die mir sehr real erlebbar ist, die mich begleitet. Es geht dabei auch um einen Ausdruck von Lebensfreude.

Foto: Aleksandra Pawloff

Wenn man in der Üppigkeit und im Überfluss des Reichtums lebt, finde ich es äußerst dekadent, von der einen Welt hautnah in die andere zu wechseln, sich einerseits den Überfluss zu leisten und gleichzeitig jene wahrzunehmen, die viel zu wenig haben. Dekadenz bedeutet, gegen Zweiteres nichts zu unternehmen. Das heißt nicht, dass ich es dekadent finde, wenn sich jemand etwas gönnt und das genießen kann. Er sollte aber gleichzeitig auch etwas gegen die sozialen Missstände tun. Die Welt besteht halt nicht nur aus kullernden Engerln.

Foto: Aleksandra Pawloff

Mel Merio

Modedesignerin

Mein Freund hat mir zu Weihnachten einen goldenen Kalender aus Schlangenleder von Chloé geschenkt, was mich total gefreut hat. Ich könnt mir so etwas gar nicht leisten. Irgendwie strahlt das Ding total Dekadenz für mich aus, schließlich tät's ein geschenkter Weltspartagskalender auch, oder?

Foto: Aleksandra Pawloff

Ich hab ein merkwürdiges Verhältnis zum Begriff Dekadenz. Ich versteh mich schon irgendwie als Hedonistin, und mir gefällt so Luxus-Zeug. Auf der anderen Seite denk ich mir, in Zeiten wie diesen, ist das wirklich nötig? Dekadenz hängt ja wie gesagt mit Notwendigkeiten zusammen. Dann ist es auch wieder so eine Gefühlssache. Das schlechte Ge- wissen wird eher von einem sozialen Bewusstsein genährt. Wie auch immer, ich fand es total süß von meinem Freund, dass er mir dieses Geschenk gemacht hat.

Foto: Aleksandra Pawloff

Daniela Berlini

Etat-Director bei Demner, Merlicek und Bergmann, unter anderem Beraterin für die Entwicklung der Mömax-Kampagne

Prinzipiell hab ich mir überlegt, was ist denn schon dekadent in der hedonistischen Spaßgesellschaft, ich meine, eine protzige Rolex mit Diamanteinsätzen wird sicherlich nicht mehr als besonders dekadent bewertet. Eine gefälschte Rolex jedoch, eine wie ich sie trage, repräsentiert wahrscheinlich den wahren Sittenverfall in der heutigen Wertegesellschaft.

Foto: Aleksandra Pawloff

Ich steh zu meiner Uhr, es ist übrigens eine ,Rolix', die bestimmt drei Jahre funktionieren wird. Für mich bedeutet sie eine Art Umkehrschluss, denn eine solche Uhr voller Stolz zu tragen, ist doch wirklich der pure Verfall der materiellen Werte. Ich hätte auch noch einen antiken, afrikanischen Springbock anzubieten, der bei mir zu Hause als Duschvorleger im Badezimmer liegt. Der war nicht sehr billig und funktioniert wie eine Art Fußreflexzonenmassage, echt angenehm. Nachdem der schon vor 150 Jahren geschossen wurde, wird ihm das allerdings nicht mehr wehtun.

Foto: Aleksandra Pawloff

Klaus Engelhorn

Galerist

Ich hab mir extra für diese Geschichte bei Gucci so eine Art Glasdose mit rotem Deckel ausgeliehen. Das Ganze sieht aus wie ein übergroßes Whiskyglas. Darin sind rote Bälle und ein Knochen, so Hundespielzeug aus Plastik. Ich glaube, den Deckel kann man sogar als Frisbee verwenden. 140 Euro kostet der Spaß. Schon beim ersten Blick hab ich mir gedacht: ,Na, das ist ja dekadent'.

Foto: Aleksandra Pawloff

Dekadenz ist ja für jeden etwas anderes. Auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht könnte man sagen, es handelt sich um völlig nutzlose Luxusgüter, die im Prinzip nicht einmal richtig Freude machen. Ich persönlich denke, Dekadenz richtet sich gegen eine Art Lifestyle-Correctness eines Weltbürgers. Dadurch, dass wir so viel Information haben, so auf- und auch abgeklärt sind, können wir gewisse Dinge gar nicht mehr gut oder lustig finden. Ich denke, vor allem die neuen Reichen aus den ehemaligen Ostblockländern stehen auf diese Dekadenz, um sich abheben zu wollen und jede Armut zu verdrängen. Das Bewusstsein in der westlicheren Welt verändert sich diesbezüglich vehement, und ich glaube, dass die Protzerei und das Labeldenken zu einem Ende kommen.
Aufgezeichnet von Michael Hausenblas
Fotos: pawloff.com
(Der Standard/rondo/11/02/2005)

Foto: Aleksandra Pawloff