Wien/Moskau - Dass der neue ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko an einer Dioxinvergiftung leidet, wurde durch Blut- und Gewebeproben inzwischen erwiesen. Dass ihm das Gift am 5. September des Vorjahres bei einem Treffen mit den Spitzen des ukrainischen Geheimdienstes ins Abendessen gemischt wurde, wird vermutet. Zweifler führen jedoch an, dass dies allein schon aus chemisch-biologischen Gründen gar nicht sein könne. Warum?

Weil Dioxin so gut wie nicht in Wasser, sondern nur in Fetten gelöst werden. Doch nicht einmal die servierte Rahmsuppe habe einen derart hohen Fettgehalt aufgewiesen, dass eine ausreichend giftige Dosis Dioxin hätte beigemengt werden können. Außerdem brauche es mehrere Tage, bis sich nach einer Dioxinvergiftung überhaupt Auswirkungen zeigen. Juschtschenko litt jedoch bereits am Tag danach an den ersten Symptomen.

Russische Forschungen jedoch, auf die der estnische Wissenschafter Endel Lippmaa nun aufmerksam gemacht hat, zeigen, dass diese chemisch-biologische Hürde locker genommen werden kann: Ein wenig nachgeholfen, und winzige Mengen Dioxin werden nicht nur wasserlöslich, sondern auch um ein Vielfaches giftiger als unbehandelt. Wie diese Behandlung vonstatten gehen muss, beschrieben Alexander Sotnitschenko vom Moskauer Forschungszentrum für medizinische Ökologie und sein Team - darunter Rem Petrov, der heutige Vizepräsident der russischen Akademie der Wissenschaften - bis ins letzte Detail und damit für jeden Chemiker mit einfachsten Mitteln leicht nachzumachen. Die brisante Studie, die ein Beitrag zum Verständnis der Krebs auslösenden beziehungsweise begünstigenden Wirkung von Dioxin sein sollte, erschien am 30. April 1999 in den FEBS Letters der Föderation der Europäischen Biochemischen Gesellschaften und ist heute noch öffentlich zugänglich.

Die russischen Forscher kombinierten Tetrachlorodibenzodioxin (TCDD) mit Alpha-Fetoprotein (AFP) und schon hatten sie ein Supergift im Reagenzglas. TCDD ist die schädlichste von mehr als 150 verschiedenen Chlorverbindungen, die unter dem Namen Dioxin zusammengefasst sind, und die auch im Blut von Juschtschenko nachgewiesen wurde. Das Gift fällt etwa bei der Herstellung von Insektiziden und Herbiziden ab, bei der Verbrennung von Holz und Müll und wird hauptsächlich in privaten US-Labors zu Forschungszwecken hergestellt und ab etwa 1000 Euro pro Milliliter verkauft. Die Forscher bezogen das Gift vom Cambridge Isotopes Lab.

AFP wiederum ist ein menschliches Eiweiß, das primär für das embryonale Wachstum gebildet wird. Erwachsene haben noch maximal zehn Mikrogramm pro Liter Blut, ein höherer Wert deutet auf Leber- oder Hodenkrebs hin: ein Tumormarker.

Das Ergebnis dieser fatalen Kombination: Die Giftigkeit des Dioxins wurde um das 1400-fache erhöht, seine Löslichkeit in Wasser um das 10-fache. Und noch etwas fanden die Forscher heraus: Die schädliche Wirkung des Dioxins setzte sofort und nicht erst nach Tagen ein. (fei, sed, DER STANDARD, Print, 10.2.2005)