Sieglinde Katharina Rosenberger lehrt als Politologin an der Uni Wien.
Foto: Standard/Matthias Cremer
Reale, strukturelle Frauenpolitik sei weiter notwendig, sagte sie zu Lisa Nimmervoll.

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STANDARD: Die Regierung feiert halbe-halbe auf MinisterInnen-Ebene. Ein Zeichen, dass die Frauen den Durchmarsch nach oben geschafft haben?
Rosenberger: Ein Blick nach Europa zeigt unterschiedliche Gründe, warum Frauen in Regierungen kommen. In Spanien oder Schweden wird damit eine bestimmte Klientel angesprochen, die interessiert ist an Gleichberechtigung und Emanzipation. Diese Regierungen verfolgen eine entsprechende Programmatik, die auf Gleichberechtigung fußt. Das ist der große Unterschied zu Österreich.

STANDARD: Inwiefern?
Rosenberger: In Österreich waren es recht unterschiedliche strategische Parteiinteressen, jedenfalls nicht frauenpolitische Überlegungen mit dem Ziel der Gleichberechtigung oder Antidiskriminierung, dass Frauen in die Regierung geholt wurden.

STANDARD: Wie wichtig ist die Symbolfunktion für Frauen?
Rosenberger: Aus einem frauenpolitischen Standpunkt ist es immer positiv, wenn Frauen die Chance haben, Karrieren zu machen. Nur sollten diese Karrieren im Umfeld betrachtet werden. Die Frage ist, was mit dieser Symbolik und Präsenz von Frauen gemacht wird, welche Politik damit einhergeht für alle Frauen und Männer. Dort ist das große Defizit. Ich sehe keine Bemühungen, für Frauen bessere Lebensbedingungen oder ähnliche, wie Männer sie haben, zu erreichen.

STANDARD: Besteht die Gefahr, dass die Symbolik Frauenpolitik als Inhalt überdeckt wird?
Rosenberger: Ich würde das fast etwas verschärft formulieren. Indem Frauen in dieser Position sind, wird in der Rhetorik ein Stück weit auch signalisiert, strukturelle Maßnahmen erübrigten sich, obwohl Arbeitslosigkeit und Einkommensdifferenz steigen. Da sehe ich die Gefahr der Instrumentalisierung der Präsenz von Frauen.

STANDARD: Wie kann die Präsenz in Macht umgesetzt werden? Wohl von den Frauen?
Rosenberger: Absolut. Organisationssoziologisch kann dann eine andere Politik gemacht werden, wenn mindestens 30 Prozent der Organisation einer Gruppe angehören. Wenn jetzt 50 Prozent Ministerinnen sind - das sind ja keine Quotenfrauen mehr, hier ist ja tatsächlich das Potenzial da, strukturelle Politik zu machen, wenn sie wollen - können sie sich auch nicht mehr ausreden. Die Machtverhältnisse wären gegeben. Nur das Programm, das Bewusstsein, der Wille, diese Macht zu nutzen, um auch andere Segmente zu feminisieren, fehlt.

STANDARD: Wie kommt es, dass gerade eine konservative Regierung so viele Frauen holt?
Rosenberger: Das ist ein empirisches Muster: Wenn konservative Parteien in der Krise sind, haben Frauen leichter eine Chance, an die Macht zu kommen (Thatcher, Merkel). Nicht weil sie innerparteilich gepusht werden und eine Hausmacht hätten, sondern weil in Krisen davon ausgegangen wird, dass diese Funktionen nur vorübergehend besetzt werden würden. Wer sich langfristig positionieren will, setzt sich dem nicht aus. Thatcher hat es aber geschafft, sich mit ihrer Stärke wirklich festzusetzen.

STANDARD: Wie schaut das Muster in Rot und Grün aus? Rosenberger: Dort kommen Frauen in Spitzenfunktionen, weil sie halt eine bestimmte Gruppe hinter sich haben. SPÖ und Grüne sind aber auch Parteien, für die Frauenemanzipation zur programmatischen Grundausstattung gehört. Von daher kommen - auch nicht immer - mehr Frauen in Positionen, die dieses Bewusstsein mittragen und in diesen Positionen auch reflektieren. Das fehlt in den konservativen Parteien. (DER STANDARD, Printausgabe 10.02.2005)