Wird der alt-neue US-Präsident George W. Bush, der zum ersten Mal seit Franklin Delano Roosevelt in seiner zweiten Amtszeit in beiden Häusern des Kongresses über eine Mehrheit verfügt, auf seiner bevorstehenden Europareise eine Wende in den vielstrapazierten Beziehungen zu den europäischen Verbündeten einleiten können?

Bedeutet der versöhnliche Ton, den seine Außenministerin Condoleezza Rice während ihrer vorbereitenden Europamission in London, Berlin und nun auch in Paris angeschlagen hat, mehr als eine bloß atmosphärische Verbesserung? Die Aussichten sind nicht rosig.

Auf einer Europareise stellte Thomas L. Friedman, außenpolitischer Chefkommentator der NY Times, ohne Umschweife fest: "Bush ist verhasster als jeder US- Präsident des Geschichte." In seiner Thronrede hatte Bush bei der Beschwörung des Kampfes gegen die Tyrannei das Wort "Freiheit" 49-mal erwähnt. Friedmann verfolgte die Rede in einer Pariser Bar: "Es muss doch hier auch Leute geben, die etwas Gutes über Bush sagen. Aber bisher habe ich sie nicht getroffen."

Repräsentative Umfragen, zitiert von der BBC und dem Magazin Newsweek bestätigen, dass 58 Prozent der weltweit Befragten in der Wiederwahl von Bush eine Gefahr für den Weltfrieden sehen. Rund 70 % der Türken, 60 % der Franzosen, 55 % der Deutschen und eine knappe Mehrheit der Briten haben nach der Wiederwahl eine noch schlechtere Meinung über die USA als früher.

Gleichzeitig betrachten die Amerikaner sich selbst als die Verkörperung des "Guten" in der Welt: Etwa 80 Prozent der Befragten in den USA glauben, dass die amerikanischen Ideen und Sitten sich in der ganzen Welt ausbreiten sollen. Die Kluft zwischen dem Selbstbild der Amerikaner und dem Bild, das die Welt über sie hat, ist enorm.

Die Amerikaner lebten demnach in einer "Traumwelt", meint Andrew Moravcsik, der Politologe an der Princeton Universität. Abgesehen von der missionarischen, in Kategorien von Gut und Böse denkenden Weltsicht des Präsidenten, die der europäischen Haltung allgemeinen zuwider läuft, ist das Modell Amerika nicht mehr erwünscht. Der britische Intellektuelle George Monbiot sprach es mit brutaler Offenheit aus: "Das amerikanische Modell ist ein Albtraum und nicht ein Traum geworden."

Vor zwei Jahrzehnten verdiente zum Beispiel ein Generaldirektor 39-mal mehr als ein Durchschnittsarbeiter; heute ist das Verhältnis tausend zu eins. Rund 45 Millionen Amerikaner haben keine Sozialversicherung. Ob die "revolutionären Ideen", die Bush vor dem Kongress präsentierte, zu einer zukunftsweisenden Rentenreform führen werden, muss noch dahingestellt bleiben.

All das bedeutet freilich nicht, dass etwa die EU eine glänzende Alternative darstellt. Die lautstarken Ankündigungen nach dem Gipfel in Lissabon im März 2000, die EU werde binnen eines Jahrzehnts die USA als Wirtschaftsmacht überholen, erwiesen sich als leeres Gerede.

Der deutsche Vordenker und Direktor des Zentrums für angewandte Politikforschung in München, Werner Weidenfeld, legte dieser Tage einen "erschreckenden Befund" über den Zustand der erweiterten EU vor: "Für eine Revitalisierung fehlt die Kraft, für das entgrenzte Europa fehlt die strategische Vision, für die Verwirrung fehlt die ordnende Idee."

Militärisch und wirtschaftlich ist und bleibt also Amerika trotz Dollar- und Budgetkrise die Nummer eins der Welt. Bush hat anscheinend gelernt, dass die Vereinigten Staaten ein Pax Americana nicht schaffen können, dass globale Krisen, auch die Terrorabwehr, globale Zusammenarbeit erfordern. Statt der Ideologie der Kreuzzüge soll also wieder kluge Rücksicht auf Verbündete den Umgang mit Europa bestimmen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.2.2005)