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Jacques Chirac vor der Namensmauer

Foto: APA/EPA/POOL
Anlässlich des Gedenktages zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz wurde auf dem Gelände des Pariser Holocaust-Memorials die neu errichtete Namen-Mauer der Öffentlichkeit übergeben – als Erinnerung an die 76.000 aus Frankreich deportierten Juden.


Paris – Das bedeutendste europäische Holocaust-Dokumentationszentrum, das sich auf dem Gelände des Pariser Holocaust-Memorials (Mémorial de la Shoah) befindet, ist seit dem Gedenktag zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz dem Publikum in geschmackvoll renovierten Gebäuden zugänglich. Anlässlich des internationalen Gedenktages wurde am gleichen Ort die neu errichtete Namen-Mauer (aus hellem Jerusalem-Stein) der Öffentlichkeit übergeben. Die Namen und das Geburtsjahr der 76.000 aus Frankreich deportierten Juden sind in die am Eingang des Holocaust-Memorials positionierte Mauer eingraviert.

Das Holocaust-Memorial ist kein Museum (es gibt bereits ein Museum der Kunst und Geschichte des Judaismus in Paris), sondern eine globale Erinnerungsstätte, deren erstes Mahnmal bereits seit 1956, unter dem Namen "Mémorial du martyr juif inconnu" (Denkmal des unbekannten jüdischen Märtyrers), in einer schmalen Straße im Pariser Viertel Marais existiert. Im Marais befindet sich seit 900 Jahren das Herz der jüdischen Gemeinde. Von 1942 bis 1944 wurde dort eine große Anzahl der jüdischen Deportierten festgenommen.

Die Gebäude hinter der Namen-Mauer, die einen ganzen Häuserblock einnehmen, enthalten das umfangreiche Dokumentationszentrum, ergänzt durch Ausstellungssäle, wo auf 1000 Quadratmetern die Geschichte der europäischen und der französischen Juden anhand von Daten, Zahlen, Foto-, Film- und Originaldokumenten dargestellt wird. "Wir wollen die Besucher nicht erschüttern, sondern Fakten aufzeigen", resümiert der Direktor des Zentrums, Jacques Fredj, den geschichtlichen Einstieg. Das Denkmal der Kinder, mit Fotos von Kindern und Jugendlichen sowie deren Geburts- und Deportationsdaten an den Wänden, ohne Kommentar, rührt und berührt die Besucher zum Abschluss ihres Besuches umso mehr.

"Sonderkommando"

Die temporäre Ausstellung Mitten in der Hölle. Zeichnungen von David Olère (bis 17.4.) wird erstmals in Frankreich präsentiert. Der Grafiker David Olère wurde 1943 nach Auschwitz deportiert, wo er, zum "Sonderkommando" eingeteilt, die Gaskammern säubern musste. Er zählt zu den etwa zehn Überlebenden der "Sonderkommandos" und überstand auch den Todesmarsch nach Mauthausen. 1945 nach Frankreich zurückgekehrt, fertigte er die rund 50 Zeichnungen mit Szenen aus dem Konzentrationslager an.

Das Pariser Shoah-Dokumentationszentrum, dessen Archivumfang nur mit dem Holocaust Museum in Washington und dem Yad Vashem in Jerusalem vergleichbar ist, geht auf die Initiative von jüdischen Widerstandskämpfern in Grenoble zurück, die bereits am 28. 4. 1943 beschlossen, ein zeitgenössisches jüdisches Dokumentationszentrum zu gründen. Sie retteten noch während der deutschen Besatzung wichtige Papiere mit Unterschriften der Hauptverantwortlichen der Judenverfolgung sowie der Kollaborateure.

Während der Nürnberger Prozesse dienten sie als entscheidendes Beweismaterial. Heute umfasst das Archiv mehr als eine Million Dokumente, die am Ort oder per Internet konsultierbar sind. Darunter 60.000 Archivfotos, eine Bibliothek mit 50.000 Werken über den Holocaust und die Geschichte der jüdischen Gemeinden in zehn Sprachen. Es wird seit mehr als 60 Jahren laufend ergänzt – z.B. wurde kürzlich ein Teil des Archivs des internationalen Roten Kreuzes aus der Schweiz erworben.

In der unmittelbaren Nachbarschaft des Holocaust-Memorials, im Pariser Rathaus, werden die – auf Initiative des Memorials von Esther Shalev-Gerz gefilmten – Zeugenaussagen von sechzig Konzentrationslager-Überlebenden gezeigt: Zwischen Anhören und Rede: die letzten Zeugen. Auschwitz-Birkenau 1945–2005 . Die Befragten berichten über ihr Dasein vor, während und nach den Lagern – die letzten Zeugen, vor dem endgültigen Verstummen der Opfer. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.2.2005)