Graz - Dialysepatienten leiden nicht nur unter dem Versagen ihrer Nieren - auch die Blutwäsche selbst ist keine Kleinigkeit: Der Körper kann auf die rund jeden zweiten Tag durchgeführte Behandlung mit Übelkeit, Schwindel bis hin zum Kollaps regieren. "Orthostatischer Stress" wird dieses Phänomen genannt, das sich einstellt, wenn im Körper große Blutvolumen verschoben werden. In einem interdisziplinären Projekt bemühten sich Grazer Forscher mit Hilfe höherer Mathematik erfolgreich, diesen Stress unter Kontrolle zu bringen.

Eine neue mathematische Modellierung des Herz-Kreislauf-Systems erlaubt die genaue Beschreibung des Zustands, in dem sich ein Organismus während der Blutwäsche befindet. Die Berechnung spezifischer Filtrationsraten, die erst gar keinen orthostatischen Stress aufkommen lassen, werde so möglich, erklärte Franz Kappel vom Institut für Mathematik und Wissenschaftliches Rechnen der Universität Graz. Er ist einer der Initiatoren des Spezialforschungsbereiches (SFB) "Optimierung und Kontrolle" an der Uni Graz, in dessen Rahmen das mathematische Modell entstanden ist.

Atmung und Herz-Kreislauf-System berechenbar

Zusammen mit einem Spezialisten für das Atmungssystem, dem auf der Uni Graz arbeitenden Amerikaner Jerry Batzel, hat Kappel die Arbeit am Herz-Kreislauf-System und dessen Kontrollmechanismen vorangetrieben. Mit dem Effekt, dass das System heute mathematisch beschreibbar ist. Nun wurde ein globales Modell geschaffen, das Herz-Kreislauf-System und Atmungssystem zusammenführt.

Blutdruck und orthostatischer Stress sind eng miteinander verknüpft. Wer z.B. nur von der Liege- in die Stehposition wechselt, ist letztlich mit einem Systemdruck-Abfall konfrontiert: Denn wenn sich das Blut in den Beinen befindet, geht die Pumpleistung des Herzens, dem es gleichsam an Blut fehlt, zurück. Damit fällt automatisch auch der Blutdruck, die Durchblutung insbesondere des Gehirns wird herabgesetzt und Schwindel- sowie Übelkeitsgefühle können einsetzen.

"Genau genommen funktionieren die Kontrollmechanismen nicht richtig", so Kappel. Die für das Herz-Kreislauf-System zuständigen Feedback-Loops agieren zu langsam oder zu schwach: "Sie weisen eine Verzögerung auf", so Batzel.

Dies habe zur Folge, dass die Information, die die Feedback-Loops transportieren, nicht schnell genug in das Kontrollsystem des Herz-Kreislauf-Gefüges gelange. Dort werde aber permanent geprüft, "ob die richtige Menge Blut am richtigen Ort ist", sagte Batzel. Die Folge ist, dass der Blutdruckabfall - mit Schwindel- und Übelkeitsgefühlen, von denen Dialyse-Patienten immer wieder berichten - nicht schnell genug korrigiert wird.

Will man solche Instabilitäten vermeiden, müsse man wissen, wie der Herz-Kreislauf auf Belastungssituationen reagiere, so der Grazer Uni-Mathematiker Franz Kappel. Mit einem Modell, das zeigen kann, was bestimmte Blutvolumen-Veränderungen im Körper bewirkten, könne man auch dieser Wirkung entgegenzusteuern versuchen. Kappel: "Man ist dann z.B. in der Lage zu berechnen, wie schnell das Blut gefiltert werden darf, ohne dass der Dialyse-Patient Beschwerden bekommt oder gar bewusstlos wird."

Für SID-Forschung interessant

Von diesem Modell des HK-Systems profitieren allerdings nicht nur Dialyse-Patienten: Auch die Transfusionsmedizin und die Herzschrittmacher könnten sich verbessern lassen. "Und sogar für den plötzlichen Säuglingstod (SIDS), ist das Ergebnis unserer Arbeit interessant", so Batzel. Nun müsste die Grundlagenforschung in die Praxis übertragen werden - weshalb Kappel mit Kollegen auch bereits über einen neuen Spezialforschungsbereich nachdenkt. (APA)