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"Konsequenzen aus der Pisa-Studie zu ziehen, ohne dass es einen Euro kostet in den Bundes- und Länderbudgets, das wird halt nicht möglich sein."

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Er wäre auch für eine längere Volksschule, meint Van der Bellen im Gespräch mit Samo Kobenter.

STANDARD: Die SPÖ lockt die ÖVP in heiklen Fragen, etwa bei der Schule oder beim Wehrdienst, mit dem Verzicht auf die Zweidrittelmehrheit. Was halten Sie davon?

Van der Bellen: Das ist ein interessanter Vorschlag. Die Grünen sind flexibel, was die Einzelheiten anbelangt - aber es braucht einen Stufenplan bis zur Abschaffung der Wehrpflicht und des zwangsweisen Zivildiensts, die 2012 am Ende der Entwicklung stehen sollte. Im Bildungsbereich ist die ÖVP zu feig, dieses Angebot anzunehmen. Sie sollte es einfach akzeptieren.

STANDARD: Bei der Schule fürchtet die ÖVP, ohne Zweidrittelmehrheit könnte jede Regierung fuhrwerken, wie sie will.

Van der Bellen: Ja, das ist ihr Argument. Aber es gibt dutzende Bereiche, die genauso wichtig sind und nicht der Zweidrittelmehrheit unterliegen. Niemand ist so naiv, dass er glaubt, alle drei Jahre das Bildungssystem auf den Kopf stellen zu können. Das ist völlig unmöglich, die Leute müssen ja lernen, in einem System zu arbeiten. Das dauert Jahre, bis es funktioniert - allein die Verlängerung der Volksschule um zwei Jahre, um ein Beispiel zu nennen.

STANDARD: Wären Sie dafür?

Van der Bellen: Im Prinzip sind wir eher auf der Seite der einheitlichen Schule bis 15 Jahre. Aber wenn das nicht durchsetzbar ist, wäre eine Verlängerung der Volksschule um zwei Jahre eine gute Idee.

STANDARD: Und wie dann weiter? Zusätzlich acht Jahre Gymnasium, beispielsweise?

Van der Bellen: Nein, sicher nicht. In den angelsächsischen Ländern werden die Schüler mit 17 Jahren fertig. Da sehe ich also keinen Änderungsbedarf. Was Günter Haider im Zug der Pisa-Studie ventiliert hat, ist schon verständlich: Er hat vorgeschlagen, die Schulpflicht generell bis 17 oder 18 Jahre zu erhöhen. Der Hintergrund ist klar: Zehn Prozent aller 15- bis 20- Jährigen scheinen weder als Schüler noch in der Lehre noch als Beschäftigte auf. Wo sind die? Mit diesem Vorschlag könnte man diesen entstehenden Schatten-Analphabetismus in den Griff bekommen. Nur: Die 20 Prozent Unmotivierbare der Pisa-Studie wollen sicher nicht weiter in einer Schule herumsitzen. Das müsste eine Schule sein, die etwas völlig Neues ist.

STANDARD: Im März steht das Budget 2006 an, das die ÖVP als letzten Stein des großen Sanierungsplans feiert. Wie beurteilen Sie Grassers Politik?

Van der Bellen: Wenn überhaupt ein Konzept erkennbar ist, dann ist es der Wahlzyklus. Typischerweise macht man nach den Wahlen eine restriktive Politik, geht mit den Steuern rauf, mit den Ausgaben runter. Das ist so beim Budget 2001 mit einem leichten Überschuss gewesen, und seither gehen die Defizite kontinuierlich hinauf.

STANDARD: Was bedeutet das für das laufende Budget?

Van der Bellen: Meines Erachtens ist die Steuersenkung 2005 überdimensioniert. Grasser verzichtet leichtfertig auf eine Milliarde Körperschaftssteuer, die uns an allen Ecken und Enden fehlen wird.

STANDARD: Was täten Sie?

Van der Bellen: Wir wären maximal mit einer Milliarde Steuersenkung hineingegangen statt mit zwei Milliarden.

STANDARD: Hat das negative Effekte auf das Budget 2006?

Van der Bellen: Nein, für 2006 nicht. Aber ab 2007 hat der nächste Finanzminister den Scherben wieder auf. Der wird versuchen müssen, zu konsolidieren. Grasser macht nichts anderes als all die Finanzminister vor ihm, die er so kritisiert. Er bläst sich zum europäischen Hardliner auf, aber das ist er ja längst nicht mehr. Selbst das ist widersprüchlich: Den Deutschen gegenüber spielt er den harten Mann, als ob es unser Interesse wäre, dass Deutschland in einer Rezession die Steuern erhöht und die Ausgaben kürzt. Das hat für uns auch negative Auswirkungen - aber das ist im Wurst, oder er versteht’s nicht.

STANDARD: Grasser betont, mit seinen Budgets moderne Strukturen zu schaffen. . .

Van der Bellen: Aber das stimmt ja nicht, ganz im Gegenteil: Die im Budget behaupteten Schwerpunkte sieht man gar nicht - weder Zukunftsinvestitionen, noch Bildung, Forschung oder Wissenschaft. Da versucht er was vorzumachen, und die Daten stimmen einfach nicht. Stichwort Bildung: Konsequenzen aus der Pisa-Studie zu ziehen, ohne dass es einen Euro kostet in den Bundes- und Länderbudgets, das wird halt nicht möglich sein.

STANDARD: Einer Standard-Umfrage zufolge ginge sich für die ÖVP im Moment eine Mehrheit mit den Grünen nur knapp aus. Wird für Sie die rot-grüne Variante wieder aktueller?

Van der Bellen: Na ja, abwarten. Wir fahren einfach unser grünes Programm, und ich mag mich auf Koalitionspräferenzen gar nicht mehr einlassen. Gute Umfragen muss man erst ins Ziel bringen, und dann schauen wir weiter.

STANDARD: Wären zwei fast gleichauf liegende Großparteien nicht wieder ein Signal für eine große Koalition?

Van der Bellen : Hoffentlich nicht. Das ist wohl eine abgeschlossene Geschichte. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.2.2005)