Bild nicht mehr verfügbar.

Zu ebener Erde die Kaisermühlen-Strizzis mit einer Vorliebe für Handgreiflichkeiten, ...

Foto: AP /Stephan Trierenberg

Bild nicht mehr verfügbar.

...im ersten Stock die Seitenblicke-Society, á la Rokoko kostümiert: Nestroy im Burgtheater.

Foto: AP /Stephan Trierenberg
Exerziert von Anselm Weber an Johann Nestroys Posse "Zu ebener Erde und erster Stock".


Wien - Wie so oft blieb es Karl Kraus vorbehalten, die treffendste Bemerkung über Nestroy - oder genauer: die Nestroy-Rezeption - zu formulieren. Nestroy, so Kraus 1921, sei einer "jener seltenen Autoren, die den vielen, die sie kennen, unbekannt sind". - Am unbekanntesten aber offenbar jenen, die ihn zu inszenieren sich veranlasst sehen. Ob für sommerliche Burgfestspiele oder in der Winter-Burg am Ring: Nestroy, der ketzerische Wortführer der subversiven Travestie - wird seinerseits zum Karl Moik der Bühne kostümiert.

Dem scharfen Witz ist noch der letzte Zahn gezogen - leerer Kiefer, rote Wangerln. - Und die Musi spielt dazu. Umtata. Lei lei.

Sicher: Die Klage ist selbst kaum jünger als die "Nestroy-Pflege"- wie sich diese Art szenischen Missbrauchs juristisch unklagbar nennen darf. Auch an der Burg kennt man den Vorwurf. Und stand, einmal mehr, vor dem Dilemma: Ungern lässt man sich im Flaggschiff der dramatischen Hochkultur nachsagen, man biedere sich an Musikantenstadel-Ästhetik an. Mindestens noch ungerner aber riskiert man in Zeiten leerer Kassen Experimente mit dem Garanten für ein ausverkauftes Haus. Also übt man sich, einmal mehr, in der bewährten Kunst des 360-Grad-Spagats.

Das jüngste Ergebnis der am Ring gepflegten hohen Schule des niederen Kompromisses bietet fortgeschrittenen Anschauungsunterricht in dieser künstlerischen Disziplin.

Wille zum unterhaltsamen Fortschritt schon im Programmheft: statt informativen Lesestoffs leicht verdauliche Zitathappen, gepaart mit offenbar eigens in Auftrag gegebenen Comics. Souveränität zeigt auch die Wahl des Regisseurs für Johann Nestroys Lokalposse Zu ebener Erde und erster Stock oder Die Launen des Glücks: Anselm Weber, der künftige Essener Intendant, dessen solid-ordentliche Inszenierungen in fünfzehn Jahren noch niemals für unnötige Anstöße des Geschmacks oder der Gedanken sorgten.

Zaghaft stockend

Fingerspitzengefühl bewies man in musikalischer Hinsicht. Mit Otto Lechner wurde die Leitfigur einer gültig-gegenwärtigen Interpretation von "Volxmusik" beauftragt: Seine auf drei Musiker (Georg Graf - Querflöte, Saxofon, Klarinette, Otto Lechner - Akkordeon, Karl Ritter - E-Gitarre) ausgedünnte Variation des Orchesterklangs zeigt denn auch am schlüssigsten den Weg, den der Abend hätte beschreiten können - bei dessen Betreten er allerdings zaghaft stockte: den Weg einer ebenso konsequent lustvollen wie intelligenten Befragung der Tradition. Zurück zur harten Realität der Illusion. Die Kostüme (Gesine Völlm): Auch hier wurde die Aufgabenstellung mühelos bewältigt. Armut - zu ebener Erde - und Reichtum - im ersten Stock ergibt am Ring eine heitere Mischung aus herzhaftem Mundl- und Kaisermühlen-Proletariat mit neureicher News-Opernballerei - samt Handy und Seitenblicke-Fotografen. Wen - außer vielleicht Nestroy - kümmert im Fasching die erschreckende neue Armut einer früheren Mittelschicht?

Und selbst das 19. Jahrhundert wurde nicht vergessen. Über den geistreichen Kniff einer "Rokoko-Kostümparty" im Piano Nobile fanden Puderperücken und fesche Mieder zurück in die Gegenwart.

Sein handwerkliches Können erweist Anselm Weber in der offenkundigen Zügelung bekannt selbstverliebter Eskapaden der Burgtheater-Mimen. So agiert ein umfangreiches Nestroy-Ensemble in gut gelaunter Spiellust - allen voran Cornelius Obonya als Prolet Damian mit Braut Maria Happel und Nicholas Ofczarek, ein zynisch die Hebel der Ökonomie umlegender Diener Johann - jene Rolle, die Nestroy sich selbst geschrieben hatte. Peter Simonischek als Herr von Goldfuchs und Barbie-Tochter Stefanie Dvorak geben Einblick in eine keusche Variante des Lugner-Lebens.

Nestroys mit mechanischer Präzision gesetzte Partitur der Unmoral, in der der Eros des Geldes mit jenem der Leiber rivalisiert, klappert 150 zunehmend ermüdende Minuten lang in naiver Fröhlichkeit über die Bühne. Das erste Schauspielhaus der Republik präsentiert sich reif für das Jubeljahr 2005.

Ein Breth-Nestroy

Ein Vorschlag sei dennoch gewagt für 2006 oder eine andere, jubiläumslose Zukunft: ein Nestroy, gelesen durch Hausregisseurin Andrea Breth, deren sensible Wahrnehmung sprachlicher Zwischentöne bereits Lessing und Schiller vom Staub der "Pflege" befreite. Und jenen, die sie kennen, bewies, dass die Bekannten Unbekannte sind. (DER STANDARD, Printausgabe, 08.02.2005)