John Updike
Sucht mein Angesicht
€ 20,50/320 Seiten
Rowohlt, Reinbek 2005.

Foto: rowohlt
Die Konfrontation gealteter Künstler mit ihren jungen, mehr oder weniger aufdringlichen Biographen ist nicht das schlechteste Thema für Romane. Der bisher letzte, der diese Konstellation zum Ausgangspunkt einer Geschichte macht, ist John Updikes Sucht mein Angesicht.

"Mein Herz denkt an Dein Wort: 'Sucht mein Angesicht:'", heißt es im Psalm 21, "Dein Angesicht, Herr, will ich suchen." Das ist, wie stets, wenn es bei dem christlichen Ironiker Updike um Religion geht, völlig ernst gemeint: Die Malerei, so der immer wieder umkreiste Kernpunkt des Buchs, ist der Versuch, Gott in der Welt zu sehen, ja das Göttliche wahrzunehmen, das im Akt des Sehens selbst liegt. Immer schon war Updikes Meisterschaft in seiner hoch entwickelten Beschreibungskunst zu finden; bei Sucht mein Angesicht aber haben wir es mit einem Roman zu tun, in dem es ganz wesentlich um das Beschreiben selbst, also um das Wahrnehmen der Dinge und die Frage geht, wie solche Wahrnehmung in Kunst verwandelt wird.

Natürlich aber geht es auch um Menschen, um subtile Konflikte und, wie in allen Büchern Updikes in den vergangenen Jahren, um das Alter. Die berühmte Malerin Hope Chafetz, ein Stück lebender Kunstgeschichte, nicht so sehr ihrer eigenen Bilder als ihrer beiden Ehen wegen, wird von der jungen Reporterin Kathryn aufgesucht, die mit ihr für einen Artikel in einem obskuren Online-Magazin ein Gespräch führen will. Die über dreihundert Seiten von Sucht mein Angesicht spielen alle am Nachmittag dieses Besuches - und in den aus ihm entstehenden Rückblenden auf Hopes Leben.

Hopes erster Ehemann, Zack McCoy, war niemand anderer als der Erfinder des abstrakten Expressionismus, also jener Richtung, mit der die amerikanische Avantgarde endgültig zu sich selbst fand und die Loslösung von europäischen Vorbildern schaffte. Updike verbirgt nicht, dass die Figur des Zack in ihrer antiintellektuellen Genialität, ihrer Trunksucht und Neigung zu Gewaltausbrüchen stark an Jackson Pollock angelehnt ist; seine Beschreibungen der Maltechnik und der Bilder Zacks sind das Ergebnis der Auseinandersetzung, die er auch als Kunstkritiker lebenslang mit diesem Maler geführt hat.

Nach der Trennung von Zack und dessen plötzlichem Unfalltod hat Hope Chavetz dann den Pop-Art-Künstler Guy Holloway geheiratet, ein Amalgam aus Andy Warhol und Robert Rauschenberg, gutmütig und wohlerzogen, von brillantester Intelligenz und einer unübertrefflichen Begabung für alle ökonomischen Aspekte des Lebens.

Updike nützt diese Figur für eine Analyse der Pop Art und dessen, was an ihr einmal revolutionär war. "Er setzte großes Vertrauen in seine Fähigkeit, rein zu bleiben", sagt Hope über Guy, "ein reiner Transmitter, der alles in Kunst übertrug. Und er tat das, indem er einfach sagte, es sei Kunst. Und ohne je die Stimme zu heben. (. . .) Zur gleichen Zeit haben einige der Kunstkritiker, die sich gerade mit dem abstrakten Expressionismus angefreundet hatten, jetzt, wo der ziemlich eindeutig tot war, Guy als einen Antichrist der Kunst gebrandmarkt, der alles Hässliche und Dumme am amerikanischen Leben wiederverwertete und Museen dazu herumkriegte, es auszustellen. (. . .) Es stimmte, die Museumsdirektoren mochten, was er machte, es passte zu allem, was draußen vor dem Museum war und durch das die Leute hindurchmussten, um reinzukommen. Es verband das Museum mit dem Leben auf der Straße, mit der Geschenkboutique."

Dass Sucht mein Angesicht nicht zu einem Ideenroman wird, dafür sorgt die subtile Zeichnung des Verhältnisses der beiden Frauen. Hope ist alt, Kathryn jung, und das allein bewirkt eine feine, doch immer gegenwärtige Aggression. Hope ist schwach und steht am Ende, Kathryn noch vor der Mitte ihres Lebens; doch während Hope dreimal verheiratet war, mehr Geld hat, als sie braucht, und sich trotz aller Hindernisse immer auch als Künstlerin fort-und weiterentwickeln konnte, ist Kathryns Dasein von Kargheit geprägt: Sie hat einen dürftigen Job, lebt unter beengten Verhältnissen, und auch mit ihrem Freund könnte es besser laufen.

Dass die ältere Frau all dies begreift, dass die jüngere sich wiederum durchschaut weiß, dieser Antagonismus sorgt für unauffällige Pointen, für eine nie nachlassende Anspannung und, ganz nebenbei, für eine scharfsichtige Skizze der Verhältnisse, unter denen Angehörige der Medienberufe heute oft ihre Auskommen fristen müssen. Wenn Kathryn am Ende des Buches abreist, sind die beiden einander so fremd, wie sie es zu Beginn waren, und es ist unwahrscheinlich, dass sie sich je wiedersehen werden.

Sucht mein Angesicht ist keines von Updikes Hauptwerken. Es hat nicht den funkelnden Witz von Der Coup und den Henry Bech-Erzählungen, nicht den theologischen Ernst von Das Gottesprogramm und Ehepaare, nicht die Weite des Entwurfs der Rabbit-Romane oder den künstlerischen Wagemut von Der Zentaur. Aber es ist sicher eines der besten Bücher, die je über die Zeit geschrieben wurden, als das große Projekt der Moderne noch neu war, ein Lebensgefühl und ein Wagnis.

Es ist auch ein Buch über Frauen, das erste seit Updikes Sektenroman S., und sicher sein gelungenstes: über die Schwierigkeit, sich neben einem dominierenden Ehemann zu behaupten, die Hartnäckigkeit, die einst nötig war und es wohl immer noch ist, um in der Männerdomäne Kunst Anerkennung zu finden. Auf ihre Weise hat es jede der beiden Frauen geschafft, auf ihre Weise ist jede daran gescheitert. Welche andere Wahrheit könnte ein so vielschichtiges Buch auch ausdrücken? (DER STANDARD, Printausgabe vom 29./30.1.2004)