Verweile Augenblick, du bist so schön - und ein einziger Schuss könnte genügen, ihn zu beenden. Drei Wochen nach den palästinensischen Präsidentschaftswahlen und zwei Wochen, nachdem Israel nach einem Selbstmordanschlag die Kontakte zur Palästinenserbehörde kurzfristig abgebrochen hatte, spricht nun Ministerpräsident Ariel Sharon von "Umständen, die uns und den Palästinensern einen historischen Durchbruch in unseren Beziehungen ermöglichen werden".

Sharon nimmt sogar die - auch an dieser Stelle - totgesagte Roadmap in den Mund, gemeinsam mit der Aussicht, verschiedene Aspekte des israelischen Gaza-Abzugs mit den Palästinensern zu koordinieren, allerdings mit dem üblichen, weit gefassten Caveat: "Wenn" die Palästinenser "umfangreiche Maßnahmen setzen, um Terrorismus, Gewalt und Hetze zu beenden." Nun besteht aber die Aussicht, dass die Definitionsgewalt nicht allein bei der israelischen Regierung liegen wird: Bush II dürfte tatsächlich ein neues Nahostengagement versuchen, an dessen Spitze Außenministerin Condoleezza Rice stehen soll.

Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas hat ja tatsächlich gezeigt, dass er es ernst meint mit der Rückeroberung des Gewaltmonopols durch die palästinensische Behörde: mit dem Einsatz palästinensischer Sicherheitskräfte zur Sicherung der Grenze zwischen dem Gaza-Streifen und Israel und nun mit einer weit reichenden Entwaffnungsaktion. Dazu kommt noch die wahrscheinliche Ernennung von Nasser Youssef zum palästinensischen Innenminister: Er ist derjenige, der Mitte der Neunzigerjahre, nach einer Welle von palästinensischen Selbstmordattentaten in Israel (die Benjamin Netanyahu geholfen hatten, die Wahlen zu gewinnen), mit einigem Erfolg versucht hatte, der Extremisten Herr zu werden.

Aber Abbas pokert hoch. Er setzt Palästinenser ein, um Israelis zu schützen, etwas, das Yassir Arafat grundlegend abgelehnt hatte. In ihrem Leitartikel mit dem Titel "Hört zu schießen auf" äußerte am Freitag die Tageszeitung Ha'aretz die Sorge, dass auch auf der Seite der israelischen Armee in den Palästinensergebieten nicht alle Aktionen unter Kontrolle sind: Es kam in den vergangenen Tagen zu Zwischenfällen mit toten Zivilisten. Eines ist klar, und angesichts des Triumphes der Hamas bei den Lokalwahlen im Gaza-Streifen noch mehr: Wenn es Abbas nicht nachhaltig gelingt, auch die Palästinenser vor den israelischen Soldaten zu schützen, und nicht nur umgekehrt, dann werden seine Bemühungen, die radikalen Gruppen auf einen Waffenstillstand einzuschwören, bald wieder beendet sein - und damit das Reden von einem möglichen Durchbruch in den israelisch-palästinensischen Beziehungen. Aber die israelische Führung weiß das. Am Freitag gab Generalstabschef Moshe Yaalon den Befehl, die israelischen Militäraktionen in den Palästinensergebieten auf ein Minimum zu reduzieren.

Bleibt die Frage, wie es denn, wenn diesmal die Deeskalation wirklich nachhaltig ist, weitergeht. Das ungute Gefühl, dass - wie während des Oslo-Friedensprozesses - wieder beide Seiten mit völlig inkompatiblen Erwartungen an die Frage herangehen, was ein "historischer Durchbruch" sein würde, lässt einen nur schwer los. Der Likudnik und ehemalige Siedler-Protektor Ariel Sharon, der den Palästinensern das geben wird, was ihnen der Arbeiterpartei-Premier Ehud Barak nicht geben konnte oder wollte, und das noch dazu quasi als Resultat der zweiten Intifada? Oder Mahmud Abbas, der im Namen der Palästinenser auf das verzichtet, worauf Yassir Arafat nicht verzichten konnte oder wollte? Nicht weniger unrealistisch, als den schönen Augenblick zum Verweilen einzuladen. (DER STANDARD, Printausgabe, 29./30.01.2005)