STANDARD: Die ungarische Tageszeitung "Nepszabadsag" schrieb neulich, vier Milliarden Euro entgingen dem Staat durch Schwarzarbeit. Ist das eine realistische Zahl?

Biffl: Ich bin überzeugt, dass sie ganz gute Vorstellungen haben, wie groß der Anteil ihrer Wertschöpfung ist, der im informellen Sektor, also in Schwarzarbeit, produziert wird. Wir dürfen ja nicht vergessen: Ins BIP hinein gerechnet wird auch die Wertschöpfung, die über informelle Märkte organisiert ist.

STANDARD: Wie stark ist die Schattenwirtschaft in den neuen EU-Ländern?

Biffl: Das kommt auf die Tradition an. Alle ehemaligen kommunistischen Länder hatten starke Parallelökonomien. Es gab den ideologisch vorgegebenen, eher schwerindustrie-orientierten Arbeitsmarkt, der allein das Überleben der Gesellschaft nicht sicherstellen konnte. Daneben gab es den Schwarzmarkt, auf dem sich die Leute ihr Zubrot sicherten. Die Herausforderung ist nun, informelle in formelle Bereiche umzufunktionieren. Die Länder hatten verschiedene Ratgeber, wie das zu organisieren sei.

STANDARD: Wie kann man das organisieren?

Biffl: Im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung war vor allem herauszufinden, wie groß dieser Sektor ist und welche Typen von Arbeitskräften da beschäftigt sind. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von 40 Prozent in Polen muss man wirklich überlegen, was mit diesen jungen Leuten passieren soll. Die finden zwar vorübergehend Beschäftigung auf dem schwarzen Arbeitsmarkt, aber auf Dauer wirkt das dequalifizierend für die Erwerbsbevölkerung. Eventuell ist dann die Nachhaltigkeit des Wirtschaftswachstums nicht mehr gegeben.

STANDARD: Hat ein hoher Anteil an Schwarzarbeit seinen Ursprung in einem geringen Vertrauen in den Staat?

Biffl: Nicht notwendigerweise. Italien ist ein Land mit einem traditionell hohen Anteil an Schwarzarbeit. Der Staat war dabei als Arbeitgeber wegen der hohen sozialen Absicherung immer sehr interessant. Daneben holen sich die Leute über Beschäftigungen im informellen Sektor das Einkommen, von dem sie leben. Da gibt es eine starke Komplementarität. Das war in den ehemaligen Regimen in Osteuropa genauso, oder in Österreich, etwa in der Bauwirtschaft. Ein gewisser Anteil wird legal gemacht, alles andere ohne Rechnung.

STANDARD: Gibt es EU-Staaten, die das Problem Schwarzarbeit besser gelöst haben?

Biffl: England ist diesbezüglich ein Staat, von dem man durchaus lernen könnte. In England sind die Zugangsbeschränkungen zum formalen Arbeitsmarkt viel lockerer, es gibt auch nicht diesen Berufsstände-Staat wie in Österreich, und es gibt ganz andere Konsumentenschutz-Bestimmungen. Wer beweist, dass er etwas kann, darf den Beruf auch ausüben, kann sich sehr leicht selbstständig machen. Der Preis für Schwarzarbeit ist fast so hoch wie für formale Arbeit, dadurch büßt der informelle Sektor an Attraktivität ein. Allerdings ist auch das Pensionssystem anders, über mehrere Säulen organisiert.

STANDARD: Hat Schwarzarbeit in den Nachbarländern Auswirkungen auf Österreich?

Biffl: Nicht unbedingt. Aber natürlich kommt es auf die Preise an. Laut Befragungen ist Schwarzarbeit in Österreich sehr gut bezahlt. Menschen sind also interessiert, auf diesen Markt vorzudringen und die Arbeit noch billiger anzubieten.

STANDARD: Dabei hat wohl fast jeder Ostösterreicher irgendwann ein slowakisches Kindermädchen, eine polnische Putzfrau oder einen Pfuschertrupp beschäftigt ...

Biffl: Sie kennen das System ...

STANDARD: Schadet das der Volkswirtschaft?

Biffl: Ich bin gespalten, wenn man von "schaden" redet. Es gibt Vor- und Nachteile. Die so genannte Nachbarschaftshilfe ist nicht der Punkt. Aber organisierte Schwarzarbeits-Trupps, die Beschäftigte im formalen Sektor verdrängen, sind sehr problematisch.

STANDARD: Im Zeitraum 1990 bis 1999 ist die Schwarzarbeit in Österreich von 4,5 auf zehn Prozent gestiegen ...

Biffl: Da muss man schauen: Ist das Arbeit, die der formale Sektor noch nicht wahrnimmt? Warum nimmt er sie nicht wahr? Es gibt völlig neue Schwarzarbeiten, vor allem in der Computerbranche, oder im Mobilfunkbereich. An genauen Erhebungen kommt man nicht vorbei.

STANDARD: Es gibt also nicht mehr den typischen Schwarz-arbeiter oder Schwarzarbeitgeber?

Biffl: Nein. Nehmen Sie Friseure. Das Beschäftigungsmuster hat sich hier stark verändert. In New York mieten ausgelernte Friseure ihre Plätze in einem Friseurladen und zahlen dafür Miete. Die sind fast alle Einzelunternehmer. Und der Konsument ist so mündig, das auch anzunehmen: Er geht zu dem Friseur, der einen bestimmten Schnitt besonders gut beherrscht, den Rest macht er selbst zu Hause.

STANDARD: Ist steigende Schwarzarbeit auch eine Folge der Globalisierung?

Biffl: Natürlich hat es etwas damit zu tun. Mit der räumlichen Verlagerung von Produktionseinheiten, mit verstärktem Handel, größerer Spezialisierung - und vor allem mit dem technologischen Wandel. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22./23.1.2005)