Wer dieser Tage durch das Hinterland von Barcelona reist, könnte nur allzu leicht in Gruppen erwachsener Bürger geraten, die auf offener Straße mit umgebundenen Trenzbarterln herumstehen, stupide vergnügt grinsen und sich von oben bis unten ansabbern, als ob Persil sie dafür zahlen würde.

Die beneidenswerten Herrschaften feiern die Ankunft des Frühlings. Als Künder der Frohbotschaft gilt das erste frische Gemüse des neuen Jahres.

Span. Botschaft, Handelsabteilung

Calçots heißen diese prächtigsten aller Frühlingszwiebeln, die nach einem raffinierten Kultivierungsprozess und ganzen 18 Monaten Reifezeit erntefähig sind.

Das bietet jedes Jahr Anlass zu rituellen Orgien, die an den Wochenenden zwischen Ende Jänner und Mitte März stattfinden. Am letzten Jänner-Wochenende feiert Valls bei Tarragona mit einem Straßenfest für 30.000 Menschen die Gran Fiesta de la Calçotada und den Start der Saison.

Span. Botschaft, Handelsabteilung

Das Städtchen gilt als Keimzelle des süßen Gemüses, seit ein Bauer mit dem schönen Namen Xat de Benaiges Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte, wie mit einer speziellen Technik aus gewöhnlichen Speisezwiebel-Schösslingen die zarten Calçots gezüchtet werden können. Bestes Mittelmeerklima und notorisch kraftlose Winter sind eine Voraussetzung, wenn die Zwiebelchen, die wie Spargel in aufgeworfenen Erdreihen gedeihen, zu voller Süße reifen sollen. Seit 1996 dürfen die Calçots aus Valls auch die offizielle Herkunftsbezeichnung "Denominación de origen" führen.

Span. Botschaft, Handelsabteilung

Die Zubereitung grenzt in ihrer stumpfen Schlichtheit an Genie. Als erste Regel gilt: Es ist ein Festessen und hat deshalb in größerer Runde abgehalten zu werden. Vormaliges Säubern oder gar Waschen der erdigen Wurzeln ist ausdrücklich unerwünscht. Die Zwiebelchen werden mittels Draht aufgefädelt und als riesige Zwiebel-Colliers auf das aromatisch lodernde Rebholzfeuer geworfen. Die feuchten Calçots gehen sodann zischend in gelbgrünlichem Rauch auf, und es ist Zeit, den Porrón kreisen zu lassen: die katalonische Gemeinschaftskaraffe mit dem trichterförmigen Ausguss, aus dem ein dünner Strahl lokalen Penedès-Weines aus beträchtlicher Entfernung den Mund treffen sollte.

Span. Botschaft, Handelsabteilung

Beim Fließen vermischt sich der Wein mit Sauerstoff und kann so sein Aroma entfalten. Anfänger treffen selten in den Mund, öfter ihr Hemd, was viele immer wieder lustig finden. Andere bleiben gleich beim Cava, dem herzerfrischenden Schaumwein der Region. Den darf man aus Gläsern trinken.

Nach zehn bis fünfzehn Minuten sind die äußeren Häute der Zwiebeln komplett verkohlt. Das ungewöhnlich groß gewachsene Gemüse wird in Zeitungspapier verpackt, um im eigenen Dampf fertig zu garen. Jetzt ist es für den Genuss bereit.

Span. Botschaft, Handelsabteilung

Im Restaurant werden die schwarzen Stangen traditionell auf heißen, gewölbten Dachziegeln serviert, an der frischen Luft fischt man sie sich einfach aus dem Zeitungspapier. Mit einer Hand schnappt man eine Zwiebel am (ehemals) grünen Ende, mit der anderen löst man die verkohlte Außenhaut - und damit auch die erdigen Teile - ab. Erotomane Katalanen vergleichen das mit dem Moment, da eine Frau ihrer schwarzen Seidenstrümpfe entledigt wird: Was zum Vorschein kommt, ist alabasterfarben schimmerndes junges Gemüse, verführerisch duftend, zart im Biss und rauchig-süß am Gaumen.

Span. Botschaft, Handelsabteilung

Traditionell wird die Zwiebel in ihrer ganzen Länge durch die Salvitxada gezogen, eine scharfe Salsa aus gebratenem Knoblauch und Mandeln, getrockneten Pimientos, Tomate, Petersil, Bröseln und Weinessig, die im Mörser (oder Mixer) mit Olivenöl aufgeschlagen wird.

Dann legt man den Kopf zurück, einverleibt sich in Schwertschlucker-Manier die von Salsa triefende Zwiebel, wischt sich die kohleschwarzen Finger in den Sabberlatz und ist glücklich, dass es so etwas gibt: ein dionysisches Gelage in der klaren, milden Frühfrühlingsluft, mit reichlich Wein und einer simplen, vegetarischen Delikatesse als Hauptdarsteller.

Span. Botschaft, Handelsabteilung

Dass man sich bei der Zwiebelzufuhr hoffnungslos antrenzt, erhöht den ebenso infantilen wie orgiastischen Charakter der Zeremonie jedenfalls erheblich.

Das Gelage wird nicht zuletzt dadurch besonders sympathisch, dass es einem auch noch explizit gut tut - rein gesundheitlich wohlgemerkt. Die Zwiebeln strotzen vor Vitaminen, Mineralien und ätherischen Ölen. Sie reinigen das Blut, sind verdauungsfördernd und schützen gegen Herzinfarkt. Ihre natürlichen Antibiotika beugen gegen Husten und Heiserkeit vor. Dazu passt auch, dass die Zwiebelchen in manchen Orten vom Pfarrer gesegnet werden, bevor sie am Scheiterhaufen landen.

Span. Botschaft, Handelsabteilung

Ein Dutzend Calçots gilt als absolute Minimalportion, der Sieger des traditionellen Wettessens genoss im vergangenen Jahr ganze 198 Stück - wohlgemerkt als Vorspeise.

Denn es wäre nicht Spanien, wenn die Glut des niedergebrannten Feuers nicht genutzt würde, um im Anschluss an die Gemüsevernichtung ordentlich Butifarras, Sobrassadas und andere scharfe Würste sowie Lammkoteletts auf den Grill zu packen. Weil von irgendwas muss man ja satt werden. (Severin Corti/Der Standard/rondo/21/1/2005)

Span. Botschaft, Handelsabteilung