Kardinal Christoph Schönborn über "schwierige" Amtsjahre und Kirchenaustritte: Auszüge aus der Radioreihe "Zeitgenossen im Gespräch" mit Michael Kerbler (Ö1) und Claus Philipp (Standard), am Donnerstag, auf Ö1.

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Gedankenjahr 2005: Welchen Weg, denken Sie, hat Österreich in den vergangenen 50, 60 Jahren eingeschlagen? Welche Form des Gedenkens wäre für diesen Weg angemessen?
Schönborn: Zuerst gilt es, sehr dankbar zu sein, dass wir 60 Jahre Frieden gehabt haben, nach einer Geschichte unseres Landes, die alles eher als friedlich war - denken wir nur an die Zwischenkriegszeit, die tiefen Gräben, die dieses Land gespalten haben, die schrecklichen Konsequenzen des 2. Weltkrieges. Was mir aber zu kurz kommt: Noch viel mehr sollten wir an die Katastrophe des 1. Weltkrieges denken, an dem die Verantwortlichen in Österreich eine ganz wesentliche Mitschuld tragen. Dann ist keine Gefahr, dass dieses Gedenkjahr triumphalistisch wird.

Was ist für Sie das größte Verdienst der katholischen Kirche in diesen Jahren?
Schönborn: Es ist viel zu wenig aufgearbeitet, was die Kirche im sozialen Bereich beigetragen hat. Ich sehe das bei 100- und 150-Jahr-Feiern von Ordensgemeinschaften: Was diese - Frauen vor allem - im kapitalistisch geprägten Österreich des 19. Jahrhundert geleistet haben, ist grandios. Eine gewisse Bastionsmentalität hat sich irgendwann natürlich schon negativ ausgewirkt, vor allem in der Zwischenkriegszeit: Hier die Schwarzen, da die Roten - das große Verdienst von Kardinal König ist, dass er dies überwunden hat.

Wie würden Sie Ihre eigene bisherige Amtszeit als Erzbischof von Wien bewerten?
Schönborn: Die ersten Jahre waren sehr schwierig: Einerseits durch die Situation, die 1995 mit der Profil-Geschichte über Kardinal Groer begann, und andererseits schon vorher durch die Auseinandersetzungen um Bischof Krenn, wie er noch Weihbischof in Wien war. Da waren auch, das müssen wir ehrlich sagen, interne, unausgegorene Spannungen in der katholischen Kirche, die sicher immer noch nicht ganz ausgegoren sind. Das zehrt schon an einem. Schön war für mich vor allem die konkrete Arbeit als Bischof einer Ortskirche. Sicher, es könnte manches blühender sein...

Welche Strategien wollen Sie nach den jüngst vermeldeten Austrittszahlen denn wählen, um die Katholiken zu halten bzw. zurückzuholen?
Schönborn: Eine der großen Versuchungen der heutigen Zeit ist, Religion wenn, dann nur utilitaristisch zu akzeptieren. Sie ist nützlich für eine gewisse Moral oder als Aufputz für gewisse Feste, aber darum geht es ja nicht. Kardinal Martini hat in einem Briefwechsel mit Umberto Eco einmal geschrieben: "Die Kirche erfüllt nicht Bedürfnisse, sie feiert Geheimnisse". Mein dringender Wunsch ist, dass wir als Kirche das bewusster, schöner, gläubiger machen. Aus dem kommt alles andere. Was gibt es Schöneres, als das, was im christlichen Glauben wirklich die Mitte ist: Tod und Auferstehung Jesu Christi zu feiern und das Evangelium zu hören, sich auf es einzulassen und das zu feiern? Daraus beziehen wir doch die Kraft. Warum resigniert man nicht nach zehn Jahren mit all den Schwierigkeiten? Sicher nicht nur, weil man ein großer Zampano ist.

Aus rechten Kreisen wird Ihnen mitunter vorgeworfen, dass Sie eine "Kirche light" anstreben.
Schönborn: Ja, ich habe ein gewisses Harmoniebedürfnis und freue mich, wenn Konflikte vorbei sind. Aber "Kirche light"? Wie schrieb schon Tertullian: Es ist etwas nicht schon deshalb wahr, weil es hart gesagt wird.

Wie stehen Sie zu den zuletzt wieder entflammten Debatten darüber, ob es richtig wäre, Papst Pius XII selig zu sprechen? Schönborn: Man kann unendlich viel hin und her diskutieren, es gibt inzwischen Bibliotheken über Pius XII, und darin auch wieder historisch belegte Zeugnisse, denen zufolge er Juden vor Deportationen bewahrte. Ich glaube, das Endurteil über diese Frage wird niemals ganz gelingen. Sie ist zu komplex. (DER STANDARD Printausgabe 20.1.2005)