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Das Seebeben im Dezember, dem eine tödliche Flutwelle folgte, ließ Seismometer bis zur Magnitude 9 ausschlagen. Forscher warnen vor weiteren, ähnlich verheerenden Beben

Foto: Reuters
Im Indischen Ozean komme es erneut zu Starkbeben, gefolgt von tödlichen Flutwellen, warnen Wissenschafter. Denn die Energie des Bebens vom 26. Dezember habe die Spannung zwischen den tektonischen Platten verstärkt.

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London/Potsdam - Gute drei Wochen nach dem verheerenden Seebeben im Indischen Ozean, dessen nachfolgende Flutwelle wenigstens 175.000 Menschen tötete, konzentrieren sich Forscher nun auf die Ränder jener Verwerfungszone, in der das Epizentrum des katastrophalen Bebens lag. Dort, warnen Seismologen nun im britischen Wissenschaftsblatt Nature, werde es mit größter Wahrscheinlichkeit zu weiteren Beben kommen - gleich stark wie jenes vom 26. Dezember und ebenfalls von Tsunamis gefolgt.

In den nächsten Jahrzehnten

Anders als bisherige Erdbebenvorhersagen, die sich meist über einen Zeitraum von hunderten von Jahren erstrecken, schockieren die Experten darüber hinaus auch noch mit einer ungewöhnlich kurzfristigen Prognose: in den nächsten Jahrzehnten.

Zwar sei das Epizentrum des Seebebens vor der indonesischen Insel Sumatra exakt lokalisiert worden, doch sei es unklar, wo der nördliche Ausläufer der Verwerfungszone ende, erklärt Kenji Satake, Tsunamiforscher am japanischen Institut für Wissenschaft und Technologie in Tsukuba. Einige der nördlichen Randzonen dürften noch immer unter so großer tektonischer Spannung stehen, dass sich diese in weiteren Beben mit derselben Magnitude lösen könnte - die Erschütterungen am Stefanitag erreichten Stärke 9 auf der Skala.

Satake will in den kommenden Tagen auf der von der Katastrophe betroffenen Inselgruppe der Nikobaren und Andamanen, einer früheren österreichischen Kolonie, nachforschen: Hat sich das Land dort nicht gehoben, sei die Verwerfungszone, die "fault line", in diesem Bereich nicht aufgebrochen, sei noch immer Spannung vorhanden.

Energie gespeichert

Von etlichen südlichen Randregionen der fault line wisse man inzwischen definitiv, dass die Erdplatten dort nicht gebrochen seien, dass dort noch genügend Energie für weitere Beben gespeichert sei. Kerry Sieh, ein Geologe am California Institute of Technology in Pasadena, hat dieses Gebiet Jahre lang erforscht. Kleine Inseln südlich von Sumatra hätten sich in der Vergangenheit nur um etwa einen Zentimeter pro Jahr abgesenkt - im selben Ausmaß, wie ihre Erdplatte unter die dort verlaufende Subduktionszone geschoben wurde. Seien die Platten beim Erdbeben horizontal verschoben worden, würden die Inseln zurückspringen, sobald der Druck auf die Platten aufhöre.

Sieh hat aus historischen Daten und Sedimentproben vom Meeresgrund in dieser Region berechnet, dass sich dort aufgrund der natürlichen Plattentektonik ein Erdbeben etwa alle 230 Jahre ereignen müsse. Das letzte mit Epizentrum unter den Mentawai-Inseln habe bereits vor 170 Jahren stattgefunden. Seit dem habe sich dort Spannung aufgebaut, die durch die Energie der Erdbewegungen an Weihnachten enorm verstärkt worden sei - was die Entstehung eines vorhersehbaren neuen Bebens in dieser Region stark beschleunigt habe.

Aber nicht nur an den nördlichen und südlichen Rändern der tektonisch aktiven Zone im Indischen Ozean herrscht Bebengefahr, sondern auch rund um das Epizentrum der jüngsten Erschütterungen.

Lange Zeit keine Ruhe

Nachbeben in den vergangenen Wochen haben Überlebende der Flutkatastrophe immer wieder in Panik versetzt. "Mit großer Sicherheit werden noch weitere Starkbeben folgen", erklärt Jochen Zschau, Seismologe am deutschen Geoforschungszentrum Potsdam. Damit bestehe auch weiterhin Tsunami-Gefahr. Nachbeben sind unausweichlich. Wurde die Erde stark erschüttert, kommt sie lange nicht zur Ruhe. Seismologen haben nach langjährigen Analysen für Nachbeben zwei Faustregeln aufgestellt. Die erste: Je stärker ein Erdbeben ist, desto mehr Nachbeben folgen. In der Sumatra-Region ist demnach mit besonders vielen Beben zu rechnen, schließlich war das Hauptbeben mit Stärke 9 das viertschwerste je gemessene. Die zweite Regel besagt, dass das schwerste Nachbeben etwa eine Magnitude schwächer ausfällt als das Hauptbeben. Und da das stärkste Nachbeben seit der Flut nur eine Magnitude von 7,1 erreichte, könnten also noch schwerere Nachbeben folgen - bereits ab einer Stärke von 7 können Seebeben Tsunamis auslösen.

Auf viele Erdbeben folgten die schwersten Nachbeben erst rund drei Monate später, warnt die Seismologin Lucy Jones vom US-Geologischen Dienst. Und sie verweist darauf, dass Nachbeben zu den stärksten Beben überhaupt gehören: Ein Drittel aller Starkbeben in Kalifornien seit 1932 waren Nachbeben. (boja, fei, DER STANDARD Printausgabe 20.1.2005)