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Gescheites Fernsehen wollte Gerd Bacher statt Vernebelung und Provinz. Das ist heute wieder so dringlich wie bei seinem Amtsantritt vor 40 Jahren, sagt der ORF-General. Mit ihm sprach Harald Fidler.

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STANDARD: Wir gehen davon aus, dass Ihnen zu 50 Jahre österreichischem Fernsehen als Erstes Gerd Bacher einfällt. Was kommt Ihnen denn als Zweites in den Sinn?

Bacher: Dass Fernsehen von allen Massenmedien am anfälligsten für Schund ist. Zählt man Werbung als eigenes Medium, so hält freilich diese den Negativrekord.

STANDARD: Als Lieblingssendung nannten Sie schon das Traummännlein, aber auch die Werbeblöcke.

Bacher: Werbefunk kann nur vom Klingelbeutel her zu verstehen gewesen sein. Werbung ist das banalste aller Medien und Hauptgrund der Trivialisierung. Heute ist sie so dominant, dass viele Sender nur noch Zwischenräume zwischen der Werbung produzieren und das "Programm" nennen.

STANDARD: Als Sie ein paar Jahre nicht mehr Generalintendant des ORF waren, haben Sie Werbung als "Selbstmordphilosophie des öffentlich- rechtlichen Rundfunks" bezeichnet.

Bacher: Das unterschreibe ich noch immer. Die Quote um jeden Preis ist der natürliche Feind des Anspruchsvollen. Was dabei herauskommt, heißt "Primetime". Ich wäre dafür, dass der ORF überhaupt oder fast keine Werbung mehr hätte und dafür die gesamten Rundfunkgebühren bekäme. Er bekommt derzeit nur zwei Drittel, der Rest geht an Bund und Länder.

STANDARD: Salzburg kassiert im Gegenteil mehr ab.

Bacher: Meine Heimat hat sich gerade die größte Unverschämtheit geleistet. Die Landesregierung erhöhte den Landesfernsehschilling und finanziert damit das Landeskrankenhaus. Nimmt man schon einem Kulturmedium Geld weg, dann wenigstens zur Finanzierung von Kultur.

STANDARD: Was ist denn öffentlich-rechtliches Radio oder Fernsehen?

Bacher: Kennzeichen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist der Qualitätsanspruch. Ganz egal, ob in Information, Kultur, Sport, Unterhaltung. Dieser Anspruch ist aufgegeben worden.

STANDARD: Sie haben 1994 erstmals freiwillig Ihren Platz als ORF-General geräumt. Offenbar glaubten Sie den ORF bei Gerhard Zeiler in guten Händen. Haben Sie sich in ihm getäuscht?

Bacher: Ich habe mich in Zeiler getäuscht. Aber er hat mich nicht getäuscht. Das ist ein erstklassiger Mann. Aber ich wusste nicht, wie sehr er allein kommerzielles Fernsehen im Auge hat. Die meisten öffentlich-rechtlichen Sündenfälle sind damals passiert.

STANDARD: Der ORF fährt noch immer auf Zeiler-Kurs, vielleicht ein bisschen abgemildert, aber Zeiler-Kurs.

Bacher: Keine Frage, nur weniger professionell.

STANDARD: Zeiler hat gesagt, der ORF war immer öffentlich- rechtlich und privat.

Bacher: Oberflächlich richtig. Aber früher war der ORF mehrheitlich öffentlich-rechtlich, nicht umgekehrt. Das beginnt ja schon bei seinem öffentlichen Auftritt: bei der Grafik, der Programm-Promotion, den Lilioms in der Programmansage, der Sprach- und Sprechverwahrlosung.

STANDARD: Der ORF war aber auch eine Brutstätte des deutschen Privatfernsehens. Gerhard Zeiler kam aus dem ORF, inzwischen führt er die europäische RTL-Holding. Jürgen Doetz, der erste und längst dienende Geschäftsführer von Sat.1, durfte ein halbes Jahr vor dessen Start in Ihrem ORF lernen. Georg Kofler, heute Premiere-Chef, war bei Ihnen im Generalsbüro, bevor er Pro Sieben aufbaute.

Bacher: Brutstätte würde ich das nicht nennen. Wir haben die Genietruppe geliefert. Es freut mich sehr, dass einer unserer Besten, Gerhard Zeiler, der größte Fernsehmacher Europas ist. Dasselbe gilt für Kofler. Der kann überhaupt alles, was er können will.

STANDARD: Derzeit kann er seinen früheren Arbeitgeber nerven: Die Bundesliga hat er dem ORF weggekauft, Skirechte des ORF will er in Brüssel einklagen.

Bacher: Große Sportereignisse müssen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sein. In Österreich verfügt nur der ORF über die technische Reichweite, um im ganzen Land empfangbar zu sein.

Ich halte bekanntlich von ORF-Sportchef Elmar Oberhauser sehr viel. Dem trau ich auch zu, dass er die Anstalt führen könnte. Aber hier ist ihm sein erster schwerer Fehler unterlaufen. Den noch größeren Fehler beging der ÖFB.

Als ORF-Mann hätte ich wahrscheinlich gesagt: Ich kann nicht so viel zahlen wie Herr Kofler, aber ich zahle wesentlich mehr als jetzt. Mindestens gleich arg oder noch ärger wäre, den Nationalsport Skifahren zu verlieren.

STANDARD: Sie halten Oberhauser für generalstauglich. Haben Sie weitere Kandidaten?

Bacher: Potenzielle Generaldirektoren gibt es für mich zwei im Haus: erstens Wolfgang Lorenz, zweitens Oberhauser.

STANDARD: Lorenz ist oberster Programmplaner im ORF.

Bacher: Das mag auf seinem Dienstzettel stehen, dieses Programm trägt nicht seine Handschrift.

STANDARD: Die amtierende Generaldirektorin Monika Lindner kommt in Ihrer Liste nicht vor?

Bacher: Ich halte die beiden für die potenziell Besten.

STANDARD: Wäre nicht nach gut 40 Jahren Zeit für ein neues ORF-Volksbegehren?

Bacher: Hauptanlass des Volksbegehrens war die Versklavung des Rundfunks durch die große Koalition. So weit ist es heute noch nicht. Aber es reicht, was sich die Politik dem ORF gegenüber anmaßt, die Opposition wie die Regierung! Das war im Reformrundfunk von 1967–1974 abgeschafft. Mit Kreiskys Gegenreform versuchte man, die alten Zustände wieder einzuführen: Politisierung und riesige Vergrößerung des Aufsichtsrates, Entmachtung des Generalintendanten, unfunktionelle Doppelbesetzungen. Davon hat sich der ORF bis heute nicht erholt.

Das neue Gesetz von 2001 sollte die Unabhängigkeit der Anstalt und den öffentlich-rechtlichen Charakter des Programms wieder herstellen.

STANDARD: Es ging 2001 um politische Macht im ORF, Umfärbung, nicht um einen qualitätsvolleren ORF.

Bacher: So steht das nicht im Gesetz. Wenn es so ist, so halten sich Geschäftsführung und Stiftungsrat nicht an seine Absichten.

STANDARD: Kreisky haben Sie nachgesagt, er habe den ORF als "Klimaanlage für die Regierung" verstanden. Gilt das nicht heute genauso?

Bacher: Sie scheinen den jahrelangen Rundfunkkrieg, den "ORF-Kannibalismus", den Kreisky führte, vergessen zu haben. Oder die "Standleitung", die zu gewissen Zeiten zwischen der Löwelstraße und dem Küniglberg existierte. Österreichische Journalisten werden aber sofort unruhig, wenn closed shops der SPÖ angetastet werden. Oder sehen Sie in den Radiojournalen irgendwo Regierungsfreundlichkeit?

STANDARD: Wenn dem so ist, gleicht das die TV-Information unter Werner Mück aber zumindest aus.

Bacher: Die politische Kopfjägerei auf Fernsehchefredakteure hat leider Tradition. Für die jeweilige Opposition arbeiten sie im Dienste des politischen Gegners. So als ob es nicht selbstverständlich wäre, dass ein Bundeskanzler mehr als seine Opponenten vorkommt, weil er nun einmal der wichtigste Politiker im Staate ist. Mück gehört sicher zu den Großprofis des Hauses. Er ist, offen gestanden, noch viel besser, als ich ihm zugetraut habe. Bei Mücks Kommentaren hätte ich gern einen neutralen Analytiker, der erklären sollte, wo da die Schlagseite liegt.

Außerdem: Die gekonnten Regierungsunfreundlichkeiten von Armin Wolf in der "ZiB 2" stören Sie hoffentlich nicht?

STANDARD: Auf Berichte über die Steuervorteile des Finanzministers musste man in der "ZiB" lange warten.

Bacher: Kampagnenjournalismus ist nach dem Rundfunkgesetz verboten. Zum Lächerlichsten und Provinziellsten an österreichischen Medien zählt die Praxis, von einem Thema nicht mehr herunterzusteigen. Zuletzt konnte ich zum Beispiel vom "Bundesheerfolterskandal" schon nichts mehr hören. Die Herren Redakteure sollten sich mehr um Semantik kümmern.

STANDARD: Blenden wir noch einmal zurück ins Jahr 1967. Bei Ihrem ersten Auftritten als ORF-General versprachen Sie zum Beispiel: Die Bürger sollen durch den ORF mündiger werden, ihre Lebensfragen – wie Politik und Wirtschaft – dürfe der ORF nicht mehr "vernebeln". Das Parteibuch verliere seinen Anspruch als "karriereförderndes Wertpapier". Und Sie haben gesagt, man müsse "gegen die Verprovinzialisierung ankämpfen". Die Forderungen sind noch immer aktuell.

Bacher: Sie sind aktuell. Aber ich möchte für mich in Anspruch nehmen, dass sie wieder so aktuell geworden sind. Das würde ich alles nach wie vor unterschreiben, jedenfalls als Sofortprogramm.

STANDARD: 2005 ist noch ein Jubiläum fällig: Gerd Bacher wird 80. Was wünschen Sie sich vom Fernsehen?

Bacher: Ganz einfach: die Befolgung des jetzigen Rundfunkgesetzes.

STANDARD: Womit Sie dem ORF Gesetzesbruch vorwerfen.

Bacher: Ist das neu?