Gehen die Geschäfte so schlecht, dass man die Konkurrenz an Geschmacklosigkeit derart überbieten muss? Die Bilder der materiellen Zerstörung nach der Katastrophe waren eindringlich genug, die ganze Welt zu erschüttern, die Zahl der Toten verursacht ein Entsetzen, das einer Steigerung durch Berichterstattung nicht bedarf. Mit Information hat die journalistische Leichenfledderei also nichts zu tun, die "profil" in seiner letzten Nummer an Opfern des Tsunami in Asien beging.

Angesichts großer Katastrophen stellen sich in allen Redaktionen immer wieder die Fragen: Wie weit darf man gehen, was kann man den Lesern zumuten, was müssen sie wissen, um sich ein korrektes Bild von Art und Ausmaß eines Ereignisses machen zu können? Es kann geschehen, dass man einmal unter dem Nötigen bleibt, oder dass man einmal zu weit geht. Jedenfalls sollten Berichterstatter einen anderen Zugang zu dem Problem zu haben als die Gerichtsmedizin, die für ihre Arbeit den Blick auf die unverhüllte Leiche werfen muss.

Was "profil" inszeniert hat, war eine bewusste Grenzüberschreitung, die Spekulation auf einen makabren Voyeurismus, auf die Erleichterung, dass es einen nicht selber getroffen hat, als Kaufanreiz. Denn mit dem Leichen-Cover war es den Blattgestaltern nicht genug: Es folgen auf den Seiten 13 und 14 noch einmal zwei große Fotos mit hingestreckten Toten, ehe der Anfall journalistischer Nekrophilie in einer angemesseneren Text- und Bildstrecke ausläuft.

Vielleicht wird uns der Herausgeber von "profil" in der nächsten Nummer darauf ebenso forsch antworten, wie er es in dieser auf die Reaktion einer Leserin zu einer anderen Grenzüberschreitung in der vorigen Nummer getan hat. Da hieß es im Wirtschaftsteil über die existentiellen Nöte des Wiener Stadtkanals Puls TV unter anderem, 48 Prozent der Anteile daran hielten der Rechtsanwalt Markus Boesch.

Für wen, ist nicht offiziell bekannt. Inzwischen mehren sich die Hinweise, dass hinter Boesch kein anderer als Leopold Böhm selbst steht. Der heute 82-jährige Wiener gehört zu den geheimnisvollsten Unternehmern des Landes. Er hatte seine 1954 gegründete Textilhandelskette Schöps Ende der achtziger Jahre gegen gutes Geld verkauft und sein Vermögen durch kluge Immobilienspekulation vervielfacht. Vorsichtigen Schätzungen zufolge soll er gut und gern 300 Millionen Euro schwer sein.

Und dann wurde dem Leser, der sich vielleicht schon wunderte, warum Böhm seine Textilhandelskette gegen gutes Geld und nicht etwa gegen schlechtes, und der sein Vermögen durch kluge Immobilienspekulation und nicht durch saudumme vervielfacht hat, der Hintergrund dieses Wunders etwas unzusammenhängend zwar, aber eindeutig erhellt. Böhm, Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien und enger Freund und Geschäftspartner ihres Präsidenten Ariel Muzicant, hatte sich nach der Entführung seiner Gattin Lotte im Jahr 1977 völlig zurückgezogen. Nur, was das Religionsbekenntnis des geheimnisvollen Unternehmers mit Puls TV zu tun hat, blieb offen.

Einer Leserin, die darüber Aufklärung begehrte, beschied Herausgeber Christian Rainer folgendermaßen: Die Tatsache, dass Herr Böhm "sein Vermögen durch kluge Immobilienspekulation vervielfacht hatte" kann weder verschwiegen noch anders formuliert werden, zumal es bei Puls TV um eine Großinvestition eines betagten Multimillionärs geht.

Immobilienspekulation allein hätte zwar durchaus genügt, nur Vermögensvervielfachung durch Dummheit hätte eines erklärenden Zusatzes bedurft, aber bitte - der Mann ist betagt.

Weiter Rainer: Ebenso wenig gibt es einen Grund, den Namen und die Funktion des wichtigsten Geschäftspartners von Herrn Böhm nicht zu nennen, da Ariel Muzicant eine Person des öffentlichen bzw. des politischen Lebens der Republik ist.

Einen sachlichen Grund gäbe es dann, wenn Herr Muzicant etwas mit Puls TV zu tun hätte. Allein die Tatsache, dass er Geschäftspartner eines Geschäftsmannes, wenn auch eines der geheimnisvollsten, ist, stellt noch keinen dar. Aber "profil" hat vielleicht Gründe.

Rainer sodann: Dass Herr Böhm "Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde" ist, gehört bei einem derart bekannten Proponenten der Kultusgemeinde zur Berichterstattung, wie profil auch das persönliche und weltanschauliche Umfeld jeder anderen bekannten Person beschreibt.

Hier geht es indes um das religiöse Umfeld, und im Wirtschaftsteil derselben Nummer wurde weder die Kirchenzugehörigkeit von Hannes Androsch oder Dietrich Mateschitz, noch von Franz Pinkl oder Darling Treichl beschrieben.

ber schon wieder so ein Wunder: Einer der geheimnisvollsten Unternehmer des Landes ist gleichzeitig ein derart bekannter Proponent der Kultusgemeinde, dass Rainer nur noch murmeln kann: Die Kritik an der journalistisch präzisen und überlegten Arbeit von profil weisen wir jedoch gerade in diesem Zusammenhang mit Nachdruck zurück. Gojim naches. (DER STANDARD; Printausgabe, 8./9.1.2005)