Die "letzte Grenze" hieß es über Finnland, "die Distanzierten" über Schweden – und "das unterschätzte Land" über Österreich. So wurden damals, 1995, im Buch "Newcomers" die EU-Neulinge beschrieben. Weniger freundlich beschrieb Buchautor Richard Hill eine Eigenschaft der Österreicher: "versunken in Ignoranz".

Ganz so geprägt vom Ignoranzfaktor fällt die Bilanz der zehnjährigen EU-Diplomatie Österreichs nicht aus. Allerdings fielen manche in Wien groß gefeierte Erfolge in Brüssel kaum auf: Dass es Österreich etwa nach zähem Ringen gelang, 23 Austriazismen (von "Ribisel" bis "Eierschwammerl") im EU-Amtsdeutsch zu verankern, hat wenig praktische Bedeutung.

Nicht immer konzentrierte sich Österreich auf solche Randthemen. Vor allem im Umwelt- und Verkehrsbereich kämpft es seit zehn Jahren hartnäckig – wenn auch teilweise allein auf weiter Flur.

Der Wunsch Wiens nach einer EU ohne Atomkraft ist weit von der Realisierung entfernt. Immerhin, Auflagen für die nukleare Sicherheit wurden festgeschrieben – wenn auch nicht so streng, wie Wien gehofft hätte. Einen ähnlich langen Kampf führt Österreich gegen Brüsseler Bestrebungen, genveränderten Organismen in der Landwirtschaft Platz einzuräumen.

Solche Einzelkämpfe sind ein Grund dafür, dass Österreich Spitzenreiter bei Klagen der EU ist. 67 Aufsichtsklagen wurden seit 1995 gegen Österreich eingebracht, in allen neun Fällen, die schon beim Europäischen Gerichtshof landeten, wurde gegen Österreich entschieden. Das bekannteste Beispiel sind die Verfahren wegen der Mauthöhen. Österreich bekommt häufiger Klagspost aus Brüssel‑ als Finnland und Schweden:‑ exakt um ein Drittel mehr.

Ähnlich ist es bei der Nichtumsetzung von EU-Richtlinien: 358 Mahnschreiben und 23 Klagen wurden gegen Österreich eingebracht – gegen Finnland 242 Schreiben und zwei Klagen, gegen Schweden 239 bzw. drei. Nur Griechenland und Irland haben, im Vergleich zur Bevölkerungsgröße, mehr Vertragsverletzungsverfahren.

In einem anderen Bereich liegen dafür Schweden und Finnland vor Österreich: Bei der Besetzung von Dienstposten in der EU-Kommission hat Wien seit 1995 ein Defizit gegenüber den anderen Newcomern. Teile davon sind nur logisch: Im EU-Sprachendienst etwa konnten Österreicher schwerer Fuß fassen, weil die deutsche Abteilung schon mit Deutschen besetzt war, während die Abteilung für Finnisch und Schwedisch erst seit 1995 aufgebaut wurde. So sitzen 112 Finnen und 99 Schweden im Sprachendienst – und nur 15 Österreicher. Das verzerrt die Gesamtbilanz, in der Österreich 425, Finnland 592 und Schweden 605 EU-Beamte stellt.

Auf Spitzenposten sind Österreicher selten vertreten. Kurz vor dem Zehnjahresjubiläum gelang es allerdings, die dürftige Bilanz aufzubessern: Günther Hanreich wird Eurostat-Chef, damit als Generaldirektor ranghöchster Österreicher in der Kommission. Heinz Zourek, der 1995 der erste Spitzenbeamte Österreichs in der EU war, bleibt stellvertretender Generaldirektor für Unternehmen.

Im EU-Ministerrat ist mit Hans Brunmayer ein Österreicher Generaldirektor für Öffentlichkeitsarbeit, im EU- Parlament hat es Helmut Spindler als ranghöchster Österreicher zum Direktor im Übersetzungsdienst gebracht. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.1.2005)