Durch den Körper hören: Die schottische Perkussionistin und Klangforscherin Evelyn Glennie steht im Mittelpunkt von Thomas Riedelsheimers Dokumentarfilm "Touch The Sound"

Foto: Polyfilm
Wien - Schon in der Einstiegssequenz ist alles enthalten: Eine riesiger, mit zwei Schlägeln behämmerter Gong brüllt da förmlich das Auge an - und lässt das Ohr hilflos nach einer akustischen Entsprechung tasten. Doch da ist nichts, so scheint es. Außer absoluter Stille. Erst als man schon an eine defekte Tonspur denkt, überschreiten die Schwingungen des Metalltellers doch noch die Hörbarkeitsschwelle.

"Sound ist absolut überall - wir müssen ihn nur hören", lässt Thomas Riedelsheimer die Akteurin kundtun, um damit die Leitlinie für seinen neuen Film vorzugeben. Mit Touch The Sound ist dem Münchner (zuletzt: die Andy-Goldsworthy-Dokumentation Rivers and Tides) nicht nur ein weiteres außergewöhnliches Porträt gelungen, sondern eine vielschichtige Abhandlung des Phänomens "Hören", ja, der sinnlichen Welterfassung schlechthin.

Die Schottin Evelyn Glennie, in den 80er-Jahren eine der ersten Soloperkussionistinnen des zeitgenössischen Musikbetriebs, ist die denkbar ideale Überbringerin der Botschaft: Denn Glennie, so erfährt man erst nach gut 20 Minuten, ist zu 80 Prozent gehörlos - was sie selbst nicht weiter anficht: Hat sie doch, wie sie sagt, durch ihren Körper besser hören gelernt, als es andere mit Ohren vermögen.

Wenn man Glennie sieht, wie sie eine gehörlose Schülerin auffordert, ihr den Rücken zuzuwenden, um die Klänge rein physisch, ohne optische Unterstützung, wahrzunehmen - dann sind das tatsächlich Gänsehautmomente, die im Rezipienten Sehnsüchte nach "ganzheitlichem" Musikerleben wecken, statt dieses wie oft im zeitgenössischen Musikbetrieb auf die Großhirnrinde zu reduzieren.

Riedelsheimers Glennie-Porträt bleibt dieser Aussage untergeordnet: Nicht die Konzertsaal-Virtuosin oder akribische Studio-Arbeiterin wird gezeigt, sondern die Klangforscherin, die mit den Sounds ihrer Umwelt kommuniziert: Sei es in Performances auf den Straßen oder Hochhausdächern New Yorks, sei es im japanischen Fuji, wo sie den Trommlern des Ensembles "Za Ondekoza" begegnet.

Oder in der alten Industriehalle in Dormagen im Ruhrgebiet, die sie mit Fred Frith (an dessen Filmporträt Step Across The Border von Nicolas Humbert und Werner Penzel man sich unweigerlich erinnert fühlt) in ihren akustischen Gegebenheiten abtastet, um schließlich frei improvisierte Dialoge zu entspinnen.

Gekonnt lenkt Riedelsheimer die Aufmerksamkeit immer wieder auf akustische wie auch optische Details: Das Brummen der Gepäck-Trolleys am Flughafen, die gezoomten Horizontalmuster einer Rolltreppe, ein Kondensstreifen, der sich im sich wellenden Wasser spiegelt. Ein Film, der die Sinne für das Ungewöhnliche im scheinbar Alltäglichen schärft. Highly recommended!
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.12.2004)