Der Standard/Matthias Cremer
Es ist noch gar nicht so lange her (zumindest für Enddreißiger wie mich), da war Schlagobers (im Süden Österreichs auch als „Schlagrahm“ bekannt) was Besonderes und irgendwie der Inbegriff des Festlichen. Es wurde steif geschlagen, wenn Gäste zum Nachmittagsbesuch erschienen (Tanten) und separat zur Torte gereicht, und uns Kinder ließ man nicht so zugreifen, wie wir das gerne gewollt hätten. Mein Vater erzählt, in seiner Kindheit hätte es Schlagobers überhaupt nur zu Weihnachten und zu Ostern gegeben. Nächste Szene: Der „Sahne-Konflikt“. Mit zunehmender touristischer Erschließung Österreichs passte sich die heimische Gastronomie den Codices der investierenden Besucher an, interessanterweise allerdings nur jener aus Deutschland. Traumatisches Kindheitserlebnis: „Käsesahnetorte“, und ich wusste im eigenen Land – noch viele Jahre vor der ersten PISA-Studie – nicht, was gemeint war. Die „Sahne“ wurde zum Inbegriff der touristischen Prostitution (zumindest für uns Ost-Österreicher, die wir den West- und Südösterreichern ein Nicht-Ost-Österreichertum nur ungern verziehen). Nächste Szene: Die kulinarische Erschließung des edlen Milchrahms. Ende der 80er war die Cremesuppe absolut angesagt, die Suppen konnten gar nicht cremig genug sein, welche die ursprüngliche Gemüse-Komponente war, erfuhr man meistens erst durch einen Blick in die Speisekarte; dann die Entdeckung der Panna Cotta sowie deren unaufhaltsamer Siegeszug durch die Gaststätten des Landes Anfang der 90er, das Tiramisu vernichtend besiegend, seinen absoluten qualitativen Höhepunkt in der Pannacotta im Restaurant Tanglberg zu Vorchdorf anno 1999 findend. Kein Wunder, das dafür verwendete Schlagobers war handgeschöpft und wurde am Gourmandisen-Bauernhof „Landart“ mit Zielrichtung absolut höchster Qualität erzeugt – mit 50% Fett! Ich ließ mir dieses sehr besondere Schlagobers einmal für viel Geld nach Hause schicken und Menschen mit geübtem Gaumen blind davon kosten. Auf Schlagobers kam niemand, auf Vanillecreme viele. Von da an konnte es nur mehr bergab gehen. Irgendwie war es plötzlich nur mehr lästig, wenn man beim Italiener Nudeln mit Literweise Schlagobers bekam, irgendwann hatte man genug davon, dass sich „große Küche“ weniger durch präzises Handwerk und erstklassige Produkte zu definieren schien, als durch die Verwendung von zumindest 50 Prozent Schlagobers für Cremesuppen aller Art (in den 90er- und 0er-Jahren nach angereichert durch die unvermeidliche gebratene Warmwasser-Zuchtgarnele). Der Nimbus des Besonderen war schließlich schon lange vorbei, Milch-Überschüsse hatten den Preis längst gedrückt, abgesehen davon, dass es wenig Freude bereitet, wenn der das Verdaungssystem schon nach der Suppe heftige Sättigung zu verstehen gibt. Aber offensichtlich besteht in Österreich ein irrationales und nur als emotional zu erklärendes Verhältnis zum Schlagobers. Nicht anders wäre es zu erklären, dass unmittelbar nach der Öffnung der „Grünen Grenze“ österreichische Karawanen nach Sopron zogen, um dort Literweise das noch viel billigere ungarische Obers zu erwerben (der beste Komerzialrat der Welt und charismatische Ex-Chef vom Meinl am Graben, Helmut Toutimsky, fragte damals mit erhobenen Händen: „Und was machen’s damit, die Leute? Sex-Spiele in der Badewanne, oder was?), und nicht anders ist es zu erklären, dass eine der besten Köchinnen des Landes noch heute in ihrem Kochbuch empfiehlt, eine Paprika-Chili-Suppe für sechs Personen mit einem halben Liter Obers zu binden (wobei das auch ein Satzfehler sein kann – wollen wir zumindest hoffen). Schlagobers hat zweifellos seine Vorzüge, vor allem historischer Art. Ich bin dafür, dass die Zukunft pur wird – und nicht cremig.