"Zur Wahlbeobachtung?" Der Zoll auf dem Kiewer Flughafen wüsste nicht, wozu ein Ausländer sonst am Weihnachtsabend in die Ukraine kommen sollte. Gleich hinter der Zollbox gibt es Empfangspersonal: hier Europarat, dort OSZE. Über 12.000 Beobachter sollen Wahlfälschungen, wie sie vor einem Monat zu Massendemonstrationen geführt haben, verhindern.

"Vor den Ausländern werden sie doch hoffentlich Respekt haben", meint eine Angestellte im Internetcafé. Ihre Skepsis gegenüber den Behörden ist geblieben. Zu unverfroren hatte man das Volk bei der Stichwahl betrogen.

In Kiew weihnachtet es nur allmählich - die Orthodoxe Kirche feiert erst am 7. Jänner. Wäre nicht die Wiederholung der Stichwahl, es wäre ein ruhiges Winterwochenende. Nichts hätten die Leute lieber, zwei Monate lang Wahlpoker setzen selbst der Revolutionseuphorie zu. "Mir scheint, dass Kutschma intrigiert, um seine Amtszeit zu verlängern", mault Aljona, die Rezeptionistin in der Pension. Die Winkelzüge der letzten Zeit, die zahlreichen Kompromisse - wie vielen Leuten ist auch ihr der Schwung der Freiheitsdemonstration abhanden gekommen. Aber wählen gehe sie sicher. Und überdies: "Die ganze Ukraine ist für Juschtschenko", sagt die 50-jährige Kiewerin.

Auf eine einfache Formel laufen die Gespräche in der Ukraine hinaus: "Die hier, die dort", "hier der Westen, dort der Osten", "hier Juschtschenko, dort Janukowitsch". Man weiß nur zu genau, dass die Realität komplizierter ist, und man weiß auch, dass die Gespaltenheit des Landes von den Politmachern zu anderen Zwecken aufgebauscht wurde. Dennoch gehen die Differenzierungen leicht verloren.

Kiew ist in der Hand der Orangen, auch wenn das nicht mehr so ins Auge springt wie vor drei Wochen. Frohe Stimmung allenthalben, aber keine fortwährenden Protestlosungen mehr auf den Rolltreppen. Immer wieder freilich an den Kiosken die Revolutionshymne: "Wir sind viele, und lassen uns nicht unterkriegen."

Vertrautes Bild

Im Zentrum der Stadt ein vertrautes Bild. Der Geruch von Lagerfeuern liegt über dem Chreschtschatik-Boulevard. Seit vielen Wochen kauert in der Zeltstadt der harte Kern der Demonstranten. Mitunter ragt ein kleiner Christbaum, geschmückt mit roten Bändern, an der Absperrung empor. Weihnachtslieder sind nur vereinzelt zu vernehmen.

Gesprochen aber wird fast ausnahmslos über Politik. Man will Gewissheit zum Jahreswechsel. "Jetzt wählen wir zum dritten Mal. Wenn jetzt nicht klar wird, wer die Mehrheit hat, dann weiß ich nicht mehr!", meint unwillig ein Trafikant. Die im Osten seien von ihren regionalen Machthabern desinformiert, sagen die Orangen. Das weiß man im Osten selbst auch, aber man sieht auch sehr direkt, was man von ihnen hat. Arbeit in den Industriebetrieben, die ob der günstigen Konjunktur gut laufen. Kein berauschender Lohn, aber immerhin. Und woher die Garantie, dass es unter Juschtschenko besser gehen sollte? "Wir wollen nicht von amerikanischen Marionetten regiert werden", meint einer der Janukowitsch-Demonstranten in Kiew.

Leichte Unsicherheit herrscht, dass sich die Situation zuspitzen könnte - aber die Gefahr ist viel geringer als vor einem Monat. Dafür bereitet Juschtschenkos Gesundheit Sorge. Und die Inflation. "Brot ist nicht teurer geworden, aber die Eier - zehn Stück von 3,70 Griwna auf 5,50 Griwna", so eine Pensionistin am Zeitungsstand. Die aktuelle Ausgabe des Qualitätsblatts Gazeta pokievski hat sie nicht. "Nehmen sie die gestrige - die ist auch interessant." (DER STANDARD, Printausgabe, 27.12.2004)