Die Bibel ist reich an animalischen Metaphern: Jesus selbst wird das "Lamm Gottes" genannt, die Christenheit wird wie eine Schafherde vom "Guten Hirten" geführt. Im Alten Testament spielen Tiere noch eine weit größere Rolle - das "Goldene Kalb" darf zwar nicht angebetet werden, doch Bileams Esel zeigt zum Beispiel mehr Religiosität als sein Herr: Er erkennt den Engel des Herrn - sein Besitzer ist dagegen blind für die Erscheinung und schlägt das arme Tier, weil es den göttlichen Sendboten nicht über den Haufen rennen mag.

Auch im Islam wird der wahre Glauben mit "tierischen" Anekdoten illustriert: Die Sanftmut Mohammeds zeigt sich, als er den Ärmel seines Kaftans wegen einer Katze abschnitt. Muezza hatte sich darin niedergelassen, während der Prophet schlief - als er sich erhob, wollte er ihr das Ruhebett nicht rauben.

Auch in Hinduismus und Buddhismus ist die Tiersymbolik reich, und die boomende Esoterikszene bedient sich dort und anderswo. Beim chinesischen Horoskop zum Beispiel: Danach beginnt Anfang Februar das Jahr des Hahnes, und alle, die unter diesem alle zwölf Jahre wiederkehrenden Zeichen geboren sind, können sich freuen. Dass ein gesamter Jahrgang Menschen - derzeit immerhin zumindest 75 Millionen - dieselben Charaktereigenschaften haben soll, mutet irgendwie seltsam an, aber auch der Glaube, als Hahn, Ratte oder Schwein geboren worden zu sein, versetzt offensichtlich Berge.

Und nicht nur die chinesische Tiersymbolik bringt's: Da gibt's zum Beispiel "Zen - aber tierisch", eine bebilderte Anleitung in Buchform, die verspricht: "Mit deinen Krafttieren zur Meisterschaft!" Bemüht werden in der Folge das indianische Medizinrad und über 50 Tiere vom Otter über den Büffel bis zu Eichelhäher und Maulwurf: In Krisensituationen soll der Leser sich auf sein Krafttier und die ihm zugeschriebenen Eigenschaften konzentrieren.

Wer's glaubt, wird selig, könnte man sagen - und doch ist die Vereinnahmung des lieben Viehs, die nicht auf Verstehen aus ist, sondern auf Selbstbespiegelung, auch nur eine Form der Ausbeutung.

"Ganz ohne Tiere läuft die Chose nicht!" - diese Tatsache zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte, und schon die uralten Felszeichnungen in den Höhlen von Lascaux und Chauvet zeigen, dass wir Tiere seit jeher nicht nur als Lieferanten von Nahrung und anderen Ressourcen nutzen, sondern auch immer als Quelle von spirituellen Gütern. Es wäre an der (Fest-) Zeit, es ihnen zu danken. (DER STANDARD, Print, 24./25./26.12.2004)