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Nach anfänglich angedeuteteter Verhandlungs-Härte ist der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdogan offenbar zu Kompromissen bereit.

Foto: REUTERS/Yves Herman
Der türkische Regierungschef war zuletzt ungehalten über die wachsende Zahl von Vorbedingungen und Einschränkungen für Verhandlungen über den EU-Beitritt. In Brüssel deutete er dann Kompromisse an.
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Die heutige Entscheidung des Brüsseler EU-Gipfels über den Beginn von Beitrittsgesprächen mit der Türkei wird in Ankara, aber auch von einer ganz großen Mehrheit der türkischen Bevölkerung als eines der wichtigsten Ereignisse in der 81-jährigen Geschichte der Republik betrachtet.

Entsprechend groß sind die‑ Spannung bei den Menschen vor den Fernsehern und‑ die Nervosität in der türkischen Verhandlungsdelegation. "Wir werden verhandeln bis zum Umfallen", hatte Premierminister Erdogan vor seinem Abflug nach Belgien versprochen, denn, so wichtig die Entscheidung für die Türkei insgesamt ist, für ihn steht oder fällt damit seine weitere politische Karriere und seine Stellung in den Geschichts^büchern.

Die Anspannung in den Reihen der türkischen Regierung war in den letzten Tagen vor dem Gipfel schon via Fernseher mitzuverfolgen. Als aus Brüssel, Paris und Nikosia immer neue Forderungen auftauchten, die die Türkei am besten noch vor Beginn von Verhandlungen erfüllen solle, zog Erdogan am Montag die Notbremse und lud alle EU- Botschafter gemeinsam zu einem persönlichen Treffen ein.

"Wir werden keine Bedingungen akzeptieren, die über die Erfüllung der Kopenhagener Kriterien hinausgehen", gab er den Botschaftern mit auf den Weg. "Wir können auch Nein sagen", verkündete Erdogan anschließend öffentlich. "Wenn man uns inakzeptable Bedingungen stellt, legen wir die Beziehungen zur EU auf Eis und gehen unseren Weg allein weiter."

Eine Frage der Ehre

Als Erdogan dann am Mittwochabend zu seiner bislang wichtigsten Mission in Richtung Brüssel startete, war die Nation zu Hause darauf vorbereitet, dass ihr Ministerpräsident lieber Nein sagen würde, als so genannte unehrenhafte Bedingungen zu akzeptieren.

Mit dieser Position im Rücken signalisierte Erdogan dann nach seiner Ankunft in Brüssel, dass er und sein Regierungsteam durchaus zu Kompromissen bereit sind.

Noch unmittelbar vor seinem Abflug soll ihm nach Meldungen des türkischen Nachrichtenkanals NTV vom niederländischen Botschafter als Vertreter der EU-Ratspräsidentschaft ein letzter Entwurf für die Gipfeldeklaration ins Flugzeug gereicht worden sein. Darin machten die Niederländer klar, was mit einer "dauerhaften Einschränkung" der Freizügigkeit für türkische Arbeitnehmer in der Europäischen Union gemeint sein könnte. Danach will der Gipfel beschließen, dass einzelne Mitgliedsländer der Union immer dann, wenn sie große Schwierigkeiten auf ihrem Arbeitsmarkt haben, die Aufnahme von Staatsangehörigen aus anderen Mitgliedstaaten vorübergehend einschränken können.

Am härtesten dürften letztlich die gegensätzlichen Positionen in der Zypern-Frage aufeinander prallen. Erdogan erklärte zwar vor Gipfelbeginn, er sei bereit, nach einem positiven Votum der EU-Chefs sofort nach Zypern zu reisen, um sich dort zu einer neuen Friedensinitiative mit dem griechisch-zypriotischen Präsidenten Tassos Papadopoulos zu treffen, doch eine Anerkennung der Republik Zypern vorab ohne einen Friedensschluss zwischen türkischen und griechischen Zyprioten ist aus türkischer Sicht völlig inakzeptabel.

"Sollte Papadopoulos mit Unterstützung der anderen Staats- und Regierungschefs darauf bestehen, werden wir die Verhandlungen abbrechen", erklärte ein entschlossen dreinblickender Erdogan. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.12.2004)