Neben Irland, Großbritannien, Deutschland und Dänemark ist auch Österreich vertreten. Originaltexte von zwanzig Autoren sind in Deutsch, Englisch und Dänisch zu lesen. Ein virtueller Austrokoffer der eindrucksvollsten Art.


Wien - Der frühe Indien-Text Josef Winklers aus Absolut Homer steht seit wenigen Wochen im Internet, ebenso zehn Seiten aus Daniel Kehlmanns jüngstem Roman Ich und Kaminski. Auszüge aus Elisabeth Reicharts Sakkorausch sind dort zu finden und aus Heimrad Bäckers nachschrift 2, Raoul Schrotts Finis Terrae oder Marlene Streeruwitz' Ocean Drive. Um nur einige zu nennen.

Jeder dieser Texte aber findet sich nicht nur in seiner Originalsprache im Netz, sondern - erstmals - übersetzt ins Englische und Dänische. Weitere Sprachen sollen folgen. Irgendwann einmal vielleicht die aller Staaten der EU. Doch das ist Zukunftsmusik. Derzeit steckt das Liffeyproject, eines der spannendsten Unterfangen in Sachen europäischer Literaturvermittlung, noch in den Babylaufschuhen, eben dabei, in ersten mutigen Schritte den Boden des Möglichen zu ertasten.

Vor drei Jahren erfunden in Dublin, gezeugt sozusagen im Schoß der Anna Livia Plurabelle von den Mitgliedern des Irish Writers' Center in Dublin, ist das Liffeyproject in seiner Gründungsphase eine Kooperation literarischer Institutionen aus fünf EU-Ländern: Neben Irland beteiligen sich Großbritannien, Dänemark, Deutschland - und Österreich an dem Experiment, Letzteres vertreten durch die Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur im Wiener Literaturhaus.

Die gemeinsame Verabredung der fünf Länder lautete schlicht, repräsentative Texte der jeweiligen Literaturen auszuwählen, die in den vergangenen 15 Jahren, genau: seit 1990, geschrieben wurden, und diese, von ausgesuchten literarischen Übersetzern in alle Sprachen der am Projekt beteiligten Staaten übertragen, ins Netz zu stellen.

Das Wiener Literaturhaus entschied sich für ein Kuratorenmodell und beauftragte mit Klaus Zeyringer, dem im französischen Angers lehrenden Germanisten, einen ausgewiesenen Kenner österreichischer Gegenwartsliteratur mit der Auswahl der Texte. Das Ergebnis, die durch das Kuratorenmodell bewusst subjektive und durch begrenzte finanzielle Mittel klarerweise lückenhafte Auswahl von zwanzig Autoren, vertreten jeweils mit Texten von rund zehn Seiten Umfang, bietet dennoch einen beeindruckenden Überblick über die österreichische Gegenwartsliteratur.

"Reise" und Lyrik

Die Literaturwerkstatt in Berlin entschied sich für eine rein auf Lyrik beschränkte Auswahl, Dänemark wählte Prosa zum Stichwort "Reise", Großbritannien versammelt eine Auswahl unterschiedlichster Textbeispiele, etwa von L. A. Kennedy, Ian McEwan, Matthew Kneale.

Studenten profitieren schon heute von dem einfachen Zugang zu den Texten - und auch Verlage zeigen sich interessiert. Die dänische Übersetzerin von Kehlmanns Ich und Kaminski etwa begeisterte sich derart für den Text, dass sie sich umgehend auf die Suche nach einem Verlag begab.

Finanziert wurde das Projekt weit gehend mit EU-Geldern, 55.000 Euro hatte Österreich, verteilt auf drei Jahre, aus eigenen Mitteln beizusteuern, zu jeweils fünfzig Prozent getragen von Bund und Stadt Wien. Knapp 10.000 Euro jährlich also kostete das Liffeyproject den Bund, lächerlich wenig im Vergleich zu jenen 254.000 Euro, die VP-Kunststaatssekretär Franz Morak im Jubeljahr 2005 dem offenbar missglückten Austrokoffer zur Verfügung stellen will.

Dessen deklarierte Zielvorgabe, als Anthologie österreichischer Gegenwartsliteratur dieser international einen höheren Bekanntheitsgrad zu schaffen, erfüllt das Liffeyproject aufgrund seines kostenlosen und vielsprachigen Zugangs ungleich angemessener. Weshalb man im Literaturhaus eine Erweiterung des Projekts nach Ost- und Südeuropa unter österreichischer Federführung plant. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.12.2004)