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Foto: Archiv
Es weihnachtet sehr in Denver, Colorado, aber anders als früher. Diesmal hatten die evangelikalen Kirchen genug von der religiös wertfreien Lichterparade mit Santa Claus an der Spitze. Sie brachten Jesus wieder ein, mit Chorälen und Glaubensveranstaltungen, und starteten einen Kulturkampf gegen die säkularen, wenn auch umsatzfördernden Festivitäten der Stadt.

Die Re-Christianisierung des öffentlichen Lebens in Amerika hat durch den Wahlausgang zweifellos Rückenwind erhalten. Neu ist sie nicht. Gott beschäftigte die Menschen immer schon in hohem Maße, die Trennung von Kirche und Staat ist genauso Thema ständiger Debatten wie der Einfluss christlicher Werte auf die weltliche Rechtsprechung oder die relative Gewichtung von wissenschaftlichen und religiösen Welterklärungen; siehe z.B. Evolutionslehre versus Kreationismus.

Solche Diskussionen - bei denen die evangelikalen, politisch konservativen Kräfte nur eine, wenn auch immer wichtiger werdende Fraktion darstellen - spiegeln sich naturgemäß auch in der Literatur. Seit langem blüht in den USA eine christliche Belletristik, die zwischen Erbauung und Weltuntergangsfantasien ein weites Feld an Leserbedürfnissen beackert. In den vergangenen Jahren besonders populär geworden ist die Roman-Serie Left Behind der Autoren Tim LaHaye und Jerry B. Jenkins, die vom Kampf der guten Amerikaner gegen Zentralregierung, fremde Mächte und einen Anti-Christus handelt, der praktischerweise Nicolae Carpathia heißt. Die Bücher haben Millionenauflagen, werden aber von der Literaturwelt völlig ignoriert. Tatsächlich ist ihnen jeder Anspruch jenseits politischem Revanchismus und einer simpel gestrickten Traktätchen-Moral abzusprechen.

Da ist der Fall Da Vinci-Code schon komplizierter. Erstens hat Autor Dan Brown keine offensichtlich missionarische Absicht mit seinem Buch verbunden. Zweitens wurde das Buch von der Literaturkritik in Amerika zum Teil enthusiastisch begrüßt - die Times etwa empfahl die Lektüre ebenso wie den Autor ("ein Name, den Sie sich merken werden"). Drittens handelt es, als Thriller verkleidet, von der Frage, ob und wie sich Gott und die Wahrheit über ihn beweisen lassen.

Natürlich nicht nur. Der Da Vinci Code handelt ja eher von Gott und der Welt. Es fehlt weder der Harvard-Professor, ein Symbologe, noch die fesche Französin, Kryptologin von Beruf. Mit einem rätselhaften und symbolisch überfrachteten Tod im Louvre beginnt's, und bald ist der Leser bei der Big-Bang-Theorie, bei den Illuminaten und den Fibonacci-Zahlen, er stößt auf Tempelritter, den Vatikan und den Heiligen Gral - der auch nicht das ist, was man geglaubt hat.

Glauben kann man vieles. Unabhängig vom literarischen Wert des Buches ist es interessant zu beobachten, wie gut die zusammengewürfelte Mischung aus Science und Fiction, aus Halbwissen und Verschwörungsfantasien funktioniert. Was die wissenschaftliche Stichhaltigkeit angeht, fühlt man sich an die Mode der "Fuzzy Logic" erinnert und an den Stolz, mit der jeder Leser von Gödel, Escher, Bach sich als Kenner ebendieser Materien fühlen konnte: Genau weiß man's nicht, aber man hat ein paar gute Stichworte bei der Hand. Brown liefert solche Stichworte schippelweise, in bester Tradition übrigens, man denke an Crichton und andere Bestseller-Autoren.

Der Da Vinci Code spielt, ebenso wie Angels and Demons, ein früheres Werk von Brown, mit den Möglichkeiten, religiöse Fragen wissenschaftlich anzugehen. Rund um die angeblichen versteckten Hinweise im Werk Leonardo da Vincis ist ein Leserinteresse entbrannt, das mittlerweile von einem Gewerbepark an Sekundärliteratur bedient wird. Es gibt beispielsweise die Buchtitel Da Vinci Code: Facts Behind the Fiction/Decoded/ Hoax/Fact or Fiction? bzw. die Bände De-Coding/Breaking/ Cracking the Da Vinci Code. (Rechtzeitig zur Weihnachtssaison hat der Doubleday Verlag übrigens mit der Illustrated Edition die Bilder zum Buch nachgeliefert.)

Längst haben auch die religiösen Kräfte im Land die Chance wahrgenommen, anhand des Bucherfolgs kräftig in der Gottesbeweis-Debatte mitzumischen. Im Netz tummeln sich Websites, die sich darauf spezialisieren, Brown Fehler nachzuweisen und mit Hilfe von Bibel-Zitaten die Wahrheit zu untermauern. Andere nehmen die Da-Vinci-Mode zum Anlass, eigene Beweisführungen in Erinnerung zu rufen - etwa der Quantenphysiker Stephen D. Unwin. Von ihm stammt The Probability of God. A Simple Calculation That Proves the Ultimate Truth, nämlich dass Gott in der Tat existiert.

Unter D ist der millionenfach verkaufte Code in der Web-Enzyklopaedie der United Church of God gelistet. Der Grund für die Eintragung ist so unspektakulär wie grundsätzlich: "Was ist die Wahrheit? Wie können wir ihrer sicher sein?" Browns Buch ist nur eines von beliebig vielen, die diese Fragen stellen. Andererseits ist die Church of God nur eine von gezählten 1800 Glaubensgemeinschaften in den USA. (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 11./12.12.2004.2004)