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Otto Schenk als Gabriel Brunner (re.) und Ursula Strauss als Netti während der Fotoprobe zu Johann Nestroys „Kampl“ im Theater an der Josefstadt

Foto: apa/gindl

Als Ode an alte Nestroy-Herrlichkeiten inszenierte Herbert Föttinger den selten gespielten "Kampl" im Wiener Josefstadt-Theater: eine seltsam haltungslose Angelegenheit.

Wien - Besser, man unterlässt es, Nestroys kaum nacherzählbaren Kampl zum Haupt- und Zentralwerk seiner späten, deutlich illusionsloseren Lebensphase hochzulügen.

Weil ein in seiner ehehygienischen Eitelkeit getroffener Ehrenmann seine zwei Töchter in deren Säuglingsalter strikt von sich weist, gerät die Jüngere, ein gemutmaßtes Kuckucksei, obendrein in die Obhut des Medikus Kampl (Helmuth Lohner). Worauf das hold erblühende Kind (Ursula Strauss) bei einem vierschrötigen Musterproletarier in Drillichhosen (Franz Robert Wagner) unterkommt, um schließlich anderwärts sein Glück zu machen. An einem solchen Handlungsfaden hängt nicht jenes andere, wahrhaftige Glück, das ein zur Schärfe verpflichtetes Nestroy-Theater sich selbst und anderen bereiten müsste.

Glück bedeutet im Wiener Josefstadt-Theater, dass "es" gut geht. Dass ein als Regisseur debütierender Schauspieler des Hauses (Herbert Föttinger) als mehr oder minder deutlich erklärter Direktionsprätendent in einer mehr oder minder undeutlichen Inszenierung eine äußerst diffizile Gleichung – wonach einzig Besitztum den erotischen Anwert sicher stellt – an ein paar unverbrüchliche Zeichen verschwendet: an "den" Lohner, an "den" Schenk.

Denn hinter dem verwitternden Putz der Altreichen, die zu verarmen drohen (Bühne: Rolf Langenfass), liegen die Hinterhöfe derjenigen, die wie der unmanierliche Ministerialbote Brunner (Otto Schenk) nichts Besseres zu erwarten haben als die Fußbäder, die ihnen von ihren Nichten bereitet werden. Worauf der liederliche Alte patscht und seine Beinkleider richtet, um von den schmutzigen Trauerrändern seiner Seele abzulenken. Kein kleines Kunststück des großen, alten Schenk, der freilich spielt, als ginge ihn das verblasste, verbiesterte Spiel rundherum nicht viel an.

Armut schändet nämlich. Sie befällt auch Wohlhabende unvermutet, und darum sind die Ausbesserungsarbeiten im Palais Waschhausen der Anlass zu gierigen Schmarotzereien an der Seele einer (angeblich) hässlichen Millionenerbin (Therese Lohner), die elegisch schluchzend das Cello streicht, weil sie sich reizlos glaubt. Nestroy will hier auf etwas Höheres hinaus: Wer das Geld hat, kann sich in der Tat einen mittellosen Brautwerber suchen gehen, weil er auf das Dafürhalten der anderen nicht angewiesen ist – Pauline (Lohner) wäre also mehr als nur ein hässliches Entlein. Sie wäre, so die grimmige Pointe, aller Sorgen um die Liebe enthoben. Gerade darum aber kennt sie sich nicht mehr aus.

Föttinger macht sie bloß zum verschnieften Opfer seiner falschen Obsorge. Er hätte sich besser um das trostlose Statieren in der Vorstadtballszene kümmern sollen – wo wiederum alte Vetteln jungen Galanen nachsteigen. Keine Sekunde lang wird eine Haltung deutlich: ein archimedischer Punkt, von dem aus man die Verwüstung der Seelen erklären könnte.

Als Seiltänzer über so viel abgrundtiefem Elend imponiert noch Lohners Kampl: ein inwendig eingefrorener Spekulationshofrat, der die Nestroy-Wörter wie Drillbohrer ansetzt. Wenigstens das tat gut – weil es wehtat. Der Rest war die Zukunft. Und die gleicht der Vergangenheit aufs Haar. (DER STANDARD, Printausgabe vom 11./12.12.2004)