+++Pro von Karl Fluch Natürlich könnte man mich nun ungestraft fragen, ob mir jetzt das letzte bisschen Resthirn auch schon abhanden gekommen ist. Immerhin ist dies hier der Versuch, eine Lanze für so genannten "Weihnachts-Pop" zu brechen. Also jene saisonal bedingte, nun ja, Musik, die qualitativ ungefähr auf dem Niveau von Erbschleicherschlagern liegt. Last Christmas zum Beispiel. Von den 80er-Jahre-Kajalstift- und Dauerwellenprotagonisten Wham!, die für diese Lied gewordene Schleimspur jährlich wiederkehrend Tantiemen einheimsen, die ihnen 48-karätige Nasenscheidewände bis hin zum Jüngsten Tag garantieren. Von wegen: die Spuren des Pulverschnees.

Gerade dieser Jüngste Tag spielt anlässlich des höchsten katholischen Feiertags natürlich auch eine Rolle. Gilt er doch als finaler Termin im Kalender aller daran Glaubender, an dem darüber entschieden wird, wo dem jenseitigen Dasein gefrönt werden darf: Als zufriedenes Schäfchen auf einer Wolke im immerblauen Himmel, wo alle ewig urnett und voll lieb sind, oder als rußschwarzer Kohlenschaufler am Hochofen des Gehörnten, wo es nur Schmerz, Leid und die Gesellschaft früherer Politiker gibt.

Als guter Christ und Verfasser dieser Fürbitte - Pardon! - Fürsprache, gehe ich davon aus, dass diejenigen, die mittels Weihnachts-Pop die Hölle bereits auf Erden erleben mussten, zumindest in der Ewigkeit davon verschont bleiben. Sonst wären ja all die Demut und die ständigen Versuche, auch noch die Nächste zu lieben, für die Fische. Amen.

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Contra ---
von Leo Szemeliker

Anfang der Achtziger: Radio Burgenland war für uns zu uncool. Also Ö3. Unter der Bettdecke, heimlich. Das verruchte "Treffpunkt Studio 4" zu einer verbotenen Zeit, um zehn Uhr abends. Man hörte die Stones, Genesis, Cream, Zappa. Dann zog der Winter 1984 ins flache Land, die Omas brachen sich an den vereisten Bushaltestellen die Beine, wir bewarfen unsere seit kurzem auf eine gewisse Art interessant gewordenen Klassenkameradinnen tagaus, tagein mit Schneebällen. Dazu sang Frank Zappa "Bobby Brown", und wir hatten zwar nur wenig Ahnung, worum es dabei ging, es passte aber auf magische Art zu Mädchen (haben die Ö3-Programmierer eigentlich jemals den Text verstanden?).

Der Spaß daran hatte am 15. Dezember schlagartig ein Ende. Wham, zwei englische Fönfrisuren, hatten "Last Christmas" aufgenommen und zum Unglück der Menschheit auch veröffentlicht. Als B-Seite einer Single zwar, aber das Böse findet immer seinen Weg, seit damals Jahr für Jahr aufs Neue. Ein übles Machwerk: "Vergangene Weihnachten schenkte ich dir mein Herz, gleich am nächsten Tag hast du es weiter geschenkt". Käsige Synthesizer, seelenlose Schlagzeugcomputer, rattenfängerhafter Gesang. Unsere Klassenkameradinnen liebten es, ebenso wie die Föhnfrisuren der Interpreten. "Lass's Euch die Haare so machen wie die!" Für mich war Weihnachtspop ab dem Zeitpunkt abgehakt. Unter dem Christbaum? Black Sabbath! (DERSTANDARD/rondo/10/12/04)