Julia Timoschenko hasst den scheidenden ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma, weil sie überzeugt ist, dass er sie politisch wie wirtschaftlich erledigen will, seit sie sich von ihm losgesagt hat. Aber trotz ihrer persönlichen Befangenheit hat die Oppositionspolitikerin, die im System groß und reich geworden ist, ziemlich sicher Recht, wenn sie Kutschma als den Regisseur des jetzt erzielten Kompromisses zur Lösung der Staatskrise sieht.

Mit seiner Hinhaltetaktik und geschicktem Lavieren zwischen den Lagern hat sich Kutschma erneut als Meister des "Teile und herrsche" erwiesen und nun erreicht, was er schon lange wollte: eine Machtverschiebung vom Präsidentenamt hin zum Parlament.

Das scheint zwar auf den ersten Blick widersinnig, hat aber durchaus seine Logik. Dem künftigen Präsidenten, der aller Wahrscheinlichkeit nach Viktor Juschtschenko heißen wird, steht eine aufgewertete Volksvertretung gegenüber. Nicht dass Kutschma an einer echten parlamentarischen Demokratie gelegen wäre. Aber mit seiner Hausmacht, dem Dnjepropetrowsker Clan, und wechselnden Interessenkoalitionen hofft er, so viel Einfluss im Parlament sicherstellen zu können, dass er auch nach seinem Abtreten vor Strafverfolgung (etwa im Fall des ermordeten Journalisten Georgi Gongadse) sicher ist.

Vermutlich ist der Kompromiss der Preis dafür, dass die Krise gewaltlos gelöst werden konnte. An Juschtschenko wird es nun liegen zu zeigen, dass dieser Preis nicht zu hoch war und dass er die hunderttausenden, die für ihn wochenlang in der Kälte ausgeharrt haben, nicht verraten hat. Das bedeutet, dass er das Jahr bis zum In-Kraft-Treten der Verfassungsänderung für umfassende Reformen nutzen muss. Gelingt ihm dies nicht, dann würde dies die radikaleren Kräfte stärken - zum Schaden der gesamten Opposition und zur Freude von Kutschma & Co. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. Dezember 2004)