Foto: bel group
Keiner muss sich schämen. Weil den möchte ich sehen, der in Österreich zwischen 1960 und 1990 aufwuchs, und der käsemäßig nicht mit solchen Produkten wie dem Eckerl von Alma, dem Enzian-Eckerl von Rupp oder den geschmacklosen Butterkäsen wie dem „Geheimratskäse“ (mit der roten Paraffin-Rinde!) sozialisiert wurde. Und immerhin ist ja trotzdem was aus uns geworden, haben wir trotzdem schon Petitionen zur Erhaltung des Rohmilchkäses unterschrieben und insgeheim unterirdische, klimatisierte Lagerkeller errichtet, für den Fall, dass uns die EU-Industrie-Bürokratie in den Untergrund zwingt; haben schon englische und französische Käse gegessen, deren Anblick allein schon Mut erfordert, von ihrem Geruch ganz zu schweigen; bringen seit vielen Jahren schon von jedem Auslandsaufenthalt lokale Käse-Spezialitäten mit, auch wenn die Mitreisenden im Flugzeug/Auto/Zug ob des strengen Odeurs aus dem Handgepäck immer schon sehr misstrauisch dreinschauen.

Und das, obwohl da am Anfang der Eckerlkäse war (den wir in diesen Jahren des Käse-Qualitäts-Faschismus natürlich als seines Namens unwürdig hießen und Lokale/Pensionen/Hotels/Supermärkte/Geschäfte, in denen Schmelzkäse jedweder Art im Regal, bei Frühstücksbuffet oder sonst einer Gelegenheit auftauchte, weiträumig mieden).

Als ich unlängst aber wieder einmal das Einkaufswagerl durch den schnöseligen Gourmet-Supermarkt schob, wo sich jene treffen, die freiwillig höhere Preise zahlen, fiel mir in Gesellschaft von spanischen Edel-Gazpachos im Tetrapak und finnischem Bergschaf-Käse ein Stapel mit Kartons auf, die eins der besten Logos, welche die Nahrungsmittelindustrie je ersann, zeigte: nämlich die rote lachende Kuh auf dem Schmelzkäse „La vache qui rit“ des französischen Molkerei-Konzerns Bel (verantwortlich unter anderen auch für den „Baby-Bel“ und den grandiosen „Mini-Baby-Bel“, einem dem Geheimratskäse sehr ähnlichen Butterkäse, der aber eben viel besser verpackt war, nämlich Jeton-große Stücke mit Paraffin-Schichte und Reißleine – die roten Wachskugeln ergaben hervorragende Wurfgeschoße). Na was soll ich sagen – ich konnte nicht widerstehen und erwarb eine Packung französischen Schmelzkäse um eine Summe Geldes, für die ich auch schon einen Tomme aus den Pyrenäen oder einen dreijährigen Comté bekommen hätte. Und er war großartig. Nicht nur wegen einer Wickie-Slime-Paiper-mäßigen Sentimentalitäts-Attacke – der „La Vache qui rit“ war früher nämlich deshalb so besonders super, weil er in Würfelform von etwa eineinhalb Zentimeter Seitenlänge verpackt und der Öffnungsmechanismus der österreichischen Eckerl-Ware um Jahre voraus war –, sondern auch deshalb, weil der rahmige, cremige Käse echt nicht schlecht schmeckte.

Rein aus Konsequenz erwarb ich ein paar Tage später ein klassisches Verballhornungs-Produkt, nämlich den deutschen Schmelzkäse „Kiri“ (ohne Lawasch), der allerdings auch nicht schlecht war, mehr so in Richtung Gervais, aber dennoch eindeutig Schmelzkäse (wird übrigens auch von „Bel“ hergestellt).

Und vielleicht trau ich mich demnächst sogar wieder einmal über ein Enzian- oder Alma-Eckerl. Immerhin kam da ja anfangs, als sich das in der Schweiz entwickelte Prinzip des Schmelzkäses in Vorarlberg durchzusetzen begann, ja auch fast nur guter Käse rein, Rohmilch-Emmentaler und Rohmilch-Berg- oder Alpkäse, die sich während der Krise in den 20er-Jahren halt nicht gut verkaufen ließen. Und angeblich wird die Entscheidung, welcher Käse zum Bergkäse gereift und welcher zum Schmelzkäse verkocht wird, auch nur aufgrund optischer Parameter getroffen. Und die Aufriß-Technologie hat mit der französischen sicher auch schon gleichgezogen.

Diverse Eckerlkäs-Traumata meiner Kindheit und frühen Jugend – „Schinken“, „Pußta“, „Knoblauch“, „Kräuter“ – klingen allerdings noch recht stark nach. Es wird viel Kraft brauchen. Und nachher wahrscheinlich viel Ziegen-Rohmilch-Camembert von Robert Paget, französischen Emmentaler aus Savoyen, fließenden Vacherin, vierjährigen Gouda aus Amsterdam und diesen Gruyere, Jahrgang 2001, im aufgelassenen Eisenbahntunnel gereift.