Die Ergebnisse der Pisa-Studie sind da - aber was lernen wir daraus? Zunächst das Offensichtliche: Österreichs 15-Jährige sind unterdurchschnittlich gut in der Absolvierung von Tests in Lesen und in Naturwissenschaften, in Mathematik und Problemlösen bestenfalls durchschnittlich. Man kann natürlich der Meinung sein, dass Tests, wie sie bei Pisa angewendet werden, nicht die Gesamtheit der Bildung erfassen - eine Meinung, die von der linksorientierten Bundesschulsprecherin Selma Schmid ebenso vertreten wird wie vom ÖVP-Politiker Werner Amon. Was am negativen Bild aber wenig ändert.

Man kann auch trefflich darüber streiten, wer aller schuld ist daran, dass es so weit gekommen ist.

Die Ministerin selbstverständlich, das ergibt sich aus der Verantwortung für das Ressort. Wenn die Ministerin den anderen Parteien ein bisschen Mitverantwortung aufhalsen will, dann hat sie damit wohl auch ein wenig Recht: Bildungspolitik wird ja vielfach als eine Politik für die Schulen und die Lehrer missverstanden, für die sich möglichst wenig ändern soll.

Frontkämpfer

Apropos Lehrer: Als Frontkämpfer trifft diese natürlich auch der Vorwurf, die Schüler nicht genügend in den Pisa-Fächern trainiert zu haben. Und dann die Eltern, die den Kindern daheim nicht einmal richtiges Deutsch beibringen, geschweige denn, dass sie vorbildliche Leser wären. Schließlich, auch das haben wir kürzlich gehört: Die ganze Gesellschaft ist schuld, weil sie Bildung im Allgemeinen und Mathematik im Besonderen nicht zu schätzen weiß.

Gut, ja, wir alle sind schuld. Aber jetzt wurden ja einmal alle aufgerüttelt - und weil in so einer Situation gefordert wird, dass schnell, schnell etwas passiert, werden Gipfelgespräche einberufen und Kommissionen eingesetzt werden, die dann irgendein Konzept produzieren, das man als Reform präsentieren kann. Ob das reicht? Immerhin gibt es gute Chancen, dass für dieses Konzept zumindest die richtigen Ansätze gefunden werden.

Kindergärten als Bildungsstätten

Das beginnt schon mit dem Kindergarten: Jahrelang wurden Kindergartenplätze nur unter dem Aspekt diskutiert, dass Eltern für ihre Kinder "Betreuung" brauchen, weil sich nur so Familie und Beruf unter einen Hut bringen lassen. Das stimmt zwar, hat aber den noch viel wichtigeren Aspekt überlagert, dass Kinder für ihre soziale Entwicklung die Gemeinschaftserlebnisse von Kindergärten brauchen - dass also Kindergärten Bildungsstätten und nicht Aufbewahrungsstätten sind.

Beim Pisa-Sieger Finnland kann man sehen, wie viel Kinder schon im Vorschulalter lernen können; was zumindest einen Teil der Erklärung für ihren Vorsprung im Alter von 15 Jahren abgibt.

Den größeren Teil der Erklärung wird man aber in der Schule suchen müssen: Offenbar produziert die in Finnland übliche gemeinsame Schule für alle Sechs- bis Fünfzehnjährigen mit ganztägigem Unterrichtsbetrieb recht leistungsfähige Schüler - die Wiederbelebung der seit den frühen Siebzigerjahren schwelenden Diskussion über Ganztags- und Gesamtschule ist wohl unvermeidlich.

Aber diese Diskussion darf nicht zu kurz greifen, sonst verheddert sie sich nicht nur im Ideologischen, sondern auch im Organisatorischen. Erfolgreiche Bildungspolitik ist nämlich nur teilweise eine Frage der Schulorganisation und auch nur teilweise eine Frage der finanziellen Mittel, die ins Unterrichtsbudget fließen - die finnischen Ausgaben für das Schulwesen sind bekanntlich wesentlich geringer als die österreichischen.

Atmosphäre des Lehrens und Lernens

Vor allem geht es darum, in welcher Atmosphäre sich Lehren und Lernen abspielt - ob die Lehrer also motiviert sind, ob sie genügend Freiräume in der Unterrichtsgestaltung haben und ob sie auf die Probleme von Schülern und Eltern eingehen können. Oder ob sie mit ihren Problemen allein gelassen werden und dazu noch einen Haufen Verwaltungskram aufgebürdet bekommen.

Wenn die Diskussion über Pisa keine großen Reformen, aber ein insgesamt besseres Klima in den Schulen und für die Schulen bringt, wäre schon viel gewonnen. (DER STANDARD, Printausgabe 6.12.2004)