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Foto: APA/Pfarrhofer
Der 47-jährige australische Sänger ist trotz aller Versuche, mit vehementem Einsatz alte Größe zu dokumentieren, dabei etwas müde und routiniert geworden.


Wien – Auf die Frage, ob im All tatsächlich Gott wohne, hat Kosmonaut Juri Gagarin 1961 nach der Himmelfahrt mit seiner Raumkapsel Wostok sowjetisch pflichtbewusst geantwortet: "Ich war da oben. Ich habe ihn nicht gesehen."

Trotzdem darf man die Idee von den höheren Mächten nicht leichtfertig wegen überzogenen Atheismus einfach so zu den Akten legen. Immerhin ruft heute selbst Nick Cave, der einstige "Fürst der Finsternis", seine parallel mit ihm älter, schütterer, aber auch einkommensstärker und budweiser gewordene Herde mit eisern und vehement nach oben gereckter Faust in neuen Songs wie Get Ready For Love und überhaupt verteilt über die Lieder und Texte des neuen Doppelalbums Abattoir Blues/The Lyre Of Orpheus längst zu einem auf: Im Prinzip ist es besser, nicht zu zweifeln, sondern zu glauben. Nur wer's glaubt, wird selig.

Das wirkt dann mitunter in seinem Bestreben, Sinn in einer sinnlosen Welt zu stiften, etwas jenseitig. Das wirkt auch wegen des mitgebrachten vierköpfigen Gospelchors, der hier trotz oftmaliger Anrufung der Himmelsmächte immer auch ein wenig die noch immer eingestreuten Zynismen und Sarkasmen des 47- jährigen Australiers in dulce jubilo konterkarieren muss, ein wenig wie amerikanische TV-Erweckungsshows.

Dienst nach Vorschrift

Nick Cave will wahrscheinlich heute nach über 25 Jahren im Geschäft gerade das im Wiener Gasometer erreichen; mit seiner elfköpfigen Ministrantenschar The Bad Seeds, inklusive gleich zweier an der Himmelstür kräftig pumpernder Schlagzeuger. Schließlich ist man ja dann doch auch liturgisch immer ein wenig gerührt oder zumindest beruhigt, wenn die immer gleich gewordenen Rituale auf der Bühne als Dienst nach Vorschrift ablaufen.

Nick Cave gefällt sich mit seinen hervorragenden, aber auch zunehmend glatter und erwartbarer im edlen Tuch agierenden Musikern nach dem Weggang seines kongenial exzentrischen Langzeitpartners Blixa Bargeld von den Berliner Einstürzenden Neubauten heute längst in Innigkeits- und Intensitätsroutine.

So wie jeder andere Erwerbstätige auch lässt er sich längst nicht je nach Laune von den Musen küssen. Er zwingt seine Elaborate den Musen während einer der 38,5-Stunden-Woche untergeordneten Disziplin streng nach Plan ab und nicht etwa nach Eingebung in einem eigens dafür angemieteten Büro. Darüber hat sich auch das Bühnengebaren unseres alten Undergroundhelden längst automatisiert und ritualisiert.

Die erste, die interessantere und von Cave im guten alten Stil einer zwischen Taumeln, Rasen und am Klavier schnell auf eine filterlose Zigarette vorbeischauenden höheren Besessenheit absolvierte Stunde des Konzerts ist dabei ausschließlich dem neuen Material vorbehalten.

Wir hören: Babe, You Turn Me On, Get Ready For Love, Hid^ing All Away, There She Goes, My Beautiful World oder das Johnny Cash gewidmete, erhaben-traurige, aber auch etwas spekulativ pathetische Let The Bells Ring – und immer wieder den schon die aktuelle CD zubügelnden, geschmäcklerischen Kirchenchor plus Wimmerorgel und heute mehr denn je mit seiner Hysterie nervenden Warren Ellis an der Ausdrucksgeige.

Die zweite Hälfte ist dann dem bei knapp 50 Euro Eintritt geschuldeten Wunschkonzert gewidmet: God Is In The House, Deanna, Red Right Hand – und natürlich auch The Weeping Song. Am Schluss dann die böse Nummer vom alten Mordbuben Stagger Lee. Da fielen sich die Engel am Ende doch wieder vom Himmel auf die Erde tot. Es hat aber früher schon einmal lauter Platsch! gemacht. Fix-Hallelujah! (DER STANDARD, Printausgabe, 4./5.12.2004)