Finnland und Kanada sind weit weg. Wir sind in Österreich. Und da wird erst einmal der Nachbar zum Vergleich herangezogen. Österreich ist in der Pisa-Studie abgestürzt, so heißt es noch vor Erscheinen der gesammelten Ergebnisse, im Lesen von Platz zehn auf 19, in Mathematik von elf auf 15, in den Naturwissenschaften von acht auf 20.

Was noch schlimmer zu sein scheint - und das wird im Brustton der Empörung vorgetragen: Wir sind hinter Deutschland zurückgefallen! Soll heißen: Österreichs Schüler sind nicht nur dumm, sie sind auch dümmer als die in Deutschland. - Als ob dort die letzten Doofnüsse in Europa zu Hause wären.

Die Schuldigen für das schlechte Abschneiden der österreichischen Schüler, das möglicherweise gar nicht so schlecht ist, weil sich gegenüber der letzten Untersuchung 2000 die Zahl der teilnehmenden Länder von 31 auf 40 bei der aktuellen Studie erhöht hat, sind jedenfalls rasch gefunden. An ihr kann es nicht liegen, das ist für Bildungsministerin Elisabeth Gehrer erst einmal klar.

Am Schulsystem kann es auch nicht liegen, da wollen und müssen wir gar nicht darüber reden. Die Schuldigen, die hat Gehrer anderswo ausgemacht: An erster Stelle wäre da einmal die SPÖ zu nennen. Und die "beharrenden Kräfte". Sind ja auch irgendwie eins, aus Sicht der Volkspartei.

Weiters schuld: die ausländischen Kinder. Sind zu viele und sprechen nicht gut genug Deutsch. (Dieses "Problem" haben andere Länder allerdings auch.) Dazu ist zu sagen, dass die Klassenschülerzahlen gestiegen sind, dass die Lehrerzahl gekürzt wurde, dass in den Volksschulen praktisch keinerlei Mittel für zusätzliche Angebote zur Verfügung stehen, dass es kaum noch Förderkurse gibt. Für Integrationskinder und interkulturelles Lernen stehen deutlich weniger Stunden zur Verfügung, Begleitlehrer für nicht deutschsprachige Kinder wurden reduziert. Das Problem wäre also hausgemacht.

Verantwortlich seien schließlich auch die Eltern. Die haben zu wenig Zeit für die Kinder. Sagt Gehrer. (Müssen wahrscheinlich Geld verdienen.) In den nächsten Tagen kommen als weitere Schuldige wahrscheinlich die Lehrer und schließlich die Schüler selbst hinzu. Aber Hauptsache, das Schulsystem ist bei Gehrer "in guten Händen", wie ÖVP-Bildungssprecher Werner Amon erklärt.

Die ÖVP verweigert sich einer Bildungsdiskussion, die notwendig ist - mit oder ohne Pisa. Und die beharrende Kraft, an der mögliche Änderungen und Reformen abprallen, ist die Bildungsministerin selbst. Elisabeth Gehrer, früher übrigens selbst Volksschullehrerin, ist seit 1995 in dieser Funktion in der Regierung, sollte sich mit Schuldzuweisungen in alle Richtungen - außer der eigenen - daher schwer tun. Dass sie sich aber offensichtlich gar nicht schwer damit tut, liegt vielleicht auch an ihrer Ignoranz.

Die Angst der ÖVP vor einer inhaltlichen Auseinandersetzung liegt wohl daran, dass unweigerlich das Thema Gesamtschule aufs Tapet kommen würde. Und da haben beide Seiten ideologische Scheuklappen auf. Die SPÖ will von diesem Thema nicht runter, die ÖVP kann nicht rauf. Es gibt aber einige, auch konservative Experten, die dem Modell der Gesamtschule, das ja anders heißen könnte, viel abgewinnen können. Chancengleichheit für alle und spezifische Förderung für alle, die es brauchen. Das muss nicht der Weisheit letzter Schluss sein, aber es sollte möglich sein, sich auch unter einer rechtskonservativen Regierung diesem Thema zu nähern.

Was prinzipiell noch anzumerken ist: Österreich gibt gar nicht so wenig Geld für sein Bildungssystem aus. Pro Schüler etwa mehr als der OECD-Durchschnitt und mehr als die tollen Finnen, die ja die Musterschüler sind. Bleibt man bei der einfachen Argumentation Gehrers, könnte man einen Schluss daraus ableiten: Schuld an den schlechten Leistungen der österreichischen Schüler ist also unser System, und dieses System heißt Gehrer. Das kann man ändern.

(DER STANDARD-Printausgabe,3.12.2004)