Washington - Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz hat dem US-Militär eine "folterähnliche" Behandlung von Gefangenen auf dem Stützpunkt Guantanamo Bay (Kuba) vorgeworfen. Das geht nach Informationen der "New York Times" aus vertraulichen Berichten hervor, die eine Rotkreuz-Delegation nach einem Besuch auf der Militärbasis im Juni der US-Regierung zuleitete. Darin heißt es der Zeitung zufolge, dass US-Soldaten bei Gefangenenverhören mit voller Absicht psychische und manchmal auch physische Erpressungsmethoden angewendet hätten, "die gleichbedeutend mit Folter sind". Die US-Regierung wies die Vorwürfe zurück, wie die "New York Times" unter Berufung auf Beamte und Militärangehörige meldete.

Dem Blatt zufolge war es das erste Mal, dass das Rote Kreuz, das seit Anfang 2002 wiederholt Inspektionen auf dem Stützpunkt durchführte, die Behandlung der Gefangenen in derart scharfer Form anprangerte. So werde beispielsweise in den Berichten der Delegation Ärzten und anderem medizinischen Personal auf der Basis angelastet, den Verhörleitern bei der Vorbereitung auf Vernehmungen geholfen zu haben. Sie hätten ihnen Informationen über die geistige Verfassung und "Verwundbarkeit" von Gefangenen zugeleitet, "was eine flagrante Verletzung medizinischer Ethik ist".

Willen brechen

Insgesamt sprach die Delegation der Zeitung zufolge von einem System, das darauf angelegt sei, den Willen der Gefangenen zu brechen und sie völlig abhängig von denjenigen zu machen, die sie verhörten. Zu den Mitteln gehörten erniedrigende Akte und Einzelhaft. Außerdem würden Gefangene extremen Temperaturen ausgesetzt und gezwungen, in unbequemen Positionen zu sitzen oder zu stehen. "Die Konstruktion eines solchen Systems ... kann nicht anders als grausame, außergewöhnliche und erniedrigende Behandlung und als eine Form von Folter bezeichnet werden", heißt es in einem der Rotkreuz-Berichte weiter.

Die "New York Times" beruft sich bei ihren Angaben auf ein Memorandum, das US-Regierungsbeamte auf der Grundlage der vertraulichen Reports erstellten und in das die Zeitung kürzlich Einblick erhielt. Auf dem Stützpunkt werden rund 550 von den USA als "feindliche Kämpfer" eingestufte mutmaßliche Terroristen und Angehörige des einstigen afghanischen Taliban-Regimes ohne Zugang zu Rechtsanwälten festgehalten. (APA/dpa)