Sie haben die Fronten gleich abgesteckt, die Herren aus der Opposition und die Dame in der Opposition zu allem (außer Volksschulehrerinnen und Museumsdirektoren): Josef Broukal sprach von einer "Katastrophe", Ministerin Gehrer verwendete gar die Formulierung "nationale Depression" (für welche sie logischerweise keinen Grund sieht).

Wer es nicht wüsste, käme nicht darauf: Die reden über eine Lesetest. Mit 16-Jährigen. Nein, nicht in Pisa. Aber Sie wissen schon . . . die Studie. Österreich hat jetzt beim Lesen Platz 19 von 41 geschafft, das letzte Mal waren wir 10. von 30. Das ist natürlich "vernichtend" (die Krone) und voll der "Absturz" (die Grünen). Ein Absturz, der umso härter wiegt, als wir seinerzeit wenigstens die Deutschen noch voll gestaubt haben und jetzt nur noch einen mageren Platz vorn liegen. (Gott sei Dank haben wir sie unlängst in Cordoba 3:2 gemacht.)

Josef Broukal hat also vergessen, was eine Katastrophe ist, seitdem er die ZiB nicht mehr moderiert. Und die Frau Ministerin, die noch vor zwei Jahren am liebsten einen zweiten Staatsfeiertag eingeführt hätte, kommt jetzt mit Durchhalteparolen: Als Sofortreaktion, sagt sie, wird es nämlich in der ersten Märzwoche für die 6. Schulstufe Lese-Screenings geben (was immer das ist). Also wenn es da ab April nicht mindestens 5:2 steht . . .

Rot und Grün geben Schwarz und Blau die Schuld am Debakel. Sinngemäß so: Kein Wunder, dass die Kids nicht lesen können, wenn immer weniger Lehrer sind. Die Regierung kontert: Die, die jetzt nicht lesen können, hätten es schließlich in der Volksschule unter, haha, Viktor Klima nicht gelernt. Schon weniger lustig die Blauen: die Ausländer sind Schuld. Zu viele in den Klassen, grundsätzlich unrasiert und keinen Respekt. Ist ja wahr: Da lernen sie einem zuerst nicht und nicht Deutsch (Jugos), und dann schnappen sie uns mit Hilfe der Italiener (Pisa) die guten Plätze weg.

Man liest ja leider nicht, welche 10.000 Jugendliche aus welchen 200 österreichischen Schulen da getestet worden sind, etwa in dem neuen Testbereich "Problemlösen". Also wenn ich daran denke, wie meine 16-jährigen Schüler einst das Problem lösen konnten, so zu tun als würden sie aufpassen, dabei Cheats auszutauschen und gleichzeitig zumindest die 15 notwendigsten SMS abzusenden, muss ich sagen: die wären Sieger geworden und nicht 19. Aber das hat zugegeben mit Lesen nichts zu tun. Und nur am Rande mit Mathe.

Frage nicht!

Man liest leider auch nicht, was die österreichischen Eltern zu der ganzen Sache sagen. Man müsste echt einmal eine Mutter fragen, wie sie jetzt damit fertig wird, dass ihr Kind, vertreten durch ein anderes, weltweit plötzlich nur noch als 19.-bester Leser da steht. Aber fragen wir besser keine, die für ihre 16-jährige Tochter nach der Hauptschule keinen Lehrplatz findet, weil dieser jeder Schulabbrecher aus einem Gym grundsätzlich vorgezogen wird. Und fragen wir bitte keine, deren Sohn gar nicht dorthin gekommen ist, nachdem er in der 4. Volks einen 3er im Schreiben hatte, und jetzt in einer HS-Klasse sitzt mit einem Ausländeranteil von 99 Prozent. Und fragen wir bitte schon überhaupt keine aus einer anderen Schicht als der obersten:

Eine solche Mutter muss nämlich froh sein, dass ihr Kind, egal wie intelligent, aus eigener Kraft durch die Schule kommt. Die 250 Euro, die sie der Nachhilfelehrer im Monat kosten würde, hätte sie nämlich nicht.

Reden wir also nicht über eine Schule (der Zukunft), die das Problem der unsäglichen Milieu-Reproduktion in Angriff nähme, die der gesellschaftlichen Heterogenität Rechnung trüge statt Leistung nach Schablonen einzufordern; die Handys erlaubt und Füllfedern abschafft; und die so viele Lehrerinnen so viele Stunden zur Verfügung stellt (und auch bezahlt!) wie Kinder und Jugendliche eben brauchen, um Schreiben, Lesen, Spaß haben und Problemlösen lernen zu können.

Erwarten wir also in Demut das offizielle Ergebnis der Studie (am 7. Dezember) und halten wir es sonst mit dem kategehrerschen Imperativ: Lasset sie uns testen!

Übrigens, die Finnen, hab ich gehört, sind wieder ganz vorne beim Lesen. Das steckt einer weg, weil: Finnisch . . .?

(Nikolaus Glattauer/DER STANDARD-Printausgabe, 27./28.11.2004)