"Hautnah am Puls der Bergnatur": Jeden Augenblick könnte in Joseph Vilsmaiers "Bergkristall" hinter einem Felsen Sepp Forcher hervortreten, und man würde sich nichts dabei denken.

Foto: Concord

Mit süßen Panflötenklängen, falsch besetzten Tieren und Katja Riemanns Handy.

Wien – Die erste Gänsehaut bekommt man bei Joseph Vilsmaiers neuestem Film Bergkristall bereits nach wenigen Sekunden. Aber nicht, weil auf der Leinwand etwas Spannendes passieren würde, sondern weil die erste Person, der man in diesem Film begegnet, ausgerechnet Katja Riemann ist. Und zwar fährt Frau Riemann samt Handy, Mann und Kindern mit dem Auto auf Skiurlaub nach Gschaid.

Da Adalbert Stifter seine 1845 erschienene Erzählung Bergkristall unter anderem im fiktiven Ort Gschaid angesiedelt hat, weiß man also, dass man zumindest im richtigen Kinosaal ist – wenn auch im falschen Film.

Bergkristall von Joseph Vilsmaier beginnt also mit einer "modernen" Rahmenhandlung, die zwar hanebüchener kaum sein könnte, die der Regisseur aber braucht, "damit der Einstieg in die Geschichte von früher leichter fällt". Fragt sich nur: Welche Geschichte? Denn mit Bergkristall hat Joseph Vilsmaier einen Film gedreht, der viel mit hohlem Pathos und klischeeüberfrachteten Bildern, aber wenig mit Adalbert Stifter zu tun hat.

Bei Vilsmaier verkommt Stifter zu einem Autor, der sämtliche Vorurteile gegen ihn zu bestätigen scheint. Während beispielsweise Thomas Mann bereits 1949 auf Stifters "Neigung zum Exzessiven, Elementar-Katastrophalen und Pathologischen" hingewiesen hat, befindet sich Vilsmaier in der Tradition eines Friedrich Hebbel, für den Stifter ein harmloser "Käfer-und Blumenpoet" war.
Vilsmaier erweitert dieses Spektrum, indem er Stifter zusätzlich zu einem Eisblumenpoeten macht. Nachdem also Familie Riemann, aus welchen Gründen immer, beim Pfarrer von Gschaid gelandet ist, packt dieser ein dickes, verstaubtes Buch seines Urururgroßvaters aus und liest daraus eine Geschichte vor, in deren Mittelpunkt ein mysteriöser Bergkristall steht. Alle hören aufmerksam zu, die Musik schwillt an, und schon befinden wir uns in der Mitte des 19. Jahrhunderts "hautnah am Puls der wilden Bergnatur". So steht es zumindest in den Presseunterlagen.

In der nächsten halben Stunde stellt uns Vilsmaier wie in einem Werbefilm für die alpenländische Tourismuswirtschaft die beiden Dörfer Gschaid und Millsdorf vor. In Panoramaaufnahmen sehen wir pittoreske Hütten vor nebelverhangenen Bergen, kreisende Adler und sprudelnde Bäche. Jeden Augenblick könnte hinter einem Felsen Sepp Forcher hervortreten, und man würde sich nichts dabei denken. Schließlich befinden wir uns ja in einem Film, in dem sogar die Tiere falsch besetzt sind.


Doch ein Bergkristall

Dass in Gschaid und Millsdorf ausschließlich Menschen leben, die norddeutschen Dialekt sprechen, scheint Vilsmaier ebenso wenig zu stören wie die Tatsache, dass die Geschichte bereits nach wenigen Minuten hinten und vorne nicht mehr stimmt.

Inwiefern Joseph Vilsmaier Stifters Erzählung Bergkristall tatsächlich gelesen hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber eigentlich hätte ihm bei der Lektüre auffallen müssen, dass ein realer Bergkristall bei Stifter gar nicht vorkommt, weil dieser Stein lediglich metaphorische Bedeutung hat. Vilsmaier hingegen braucht den realen Stein, damit seine Frau Dana Vavrova im Film mitspielen kann. Obwohl Frau Vavrova altersmäßig eher die Großmutter hätte spielen können, schrieb ihr Vilsmaier ausgerechnet die Rolle der jungen Mutter auf den Leib. Angesichts der zahllosen Nahaufnahmen von Dana Vavrova vermute ich, dass die im Abspann angeführten vier zusätzlichen Maskenbildner ausschließlich für ihre Betreuung zuständig waren.

Frau Vavrova spielt also die Mutter von Konrad und Sanna, die sich bei Vilsmaier wegen einer alten Feindschaft zwischen den Dörfern Gschaid und Millsdorf von ihrem Mann trennen und wieder in ihr Heimatdorf zurückkehren muss. Während bei Stifter die beiden Kinder zwischen Gschaid und Millsdorf pendeln, um ihre Großeltern zu besuchen, werden sie von Vilsmaier zwischen ihrer Mutter und ihrem Vater hin- und hergeschickt. Und da die Kinder unter der Trennung ihrer Eltern leiden, beschließen sie, in den Bergen nach einem magischen Kristall zu suchen, der angeblich Getrennte wieder zusammenbringt.

Natürlich finden Konrad und Sanna in der Weihnachtsnacht den Stein und nachdem sämtliche Block,- Quer- und Panflöten aus dem Soundcomputer die Botschaft "Es lebe die heilige Familie" emotional entsprechend unterstützen, endet der Film mit einem kollektiven Gebet der Bewohner der einst verfeindeten Dörfer Gschaid und Millsdorf. Kein Wunder also, dass bei der Filmpremiere von Bergkristall Leute wie Elisabeth Gehrer in helles Entzücken ausgebrochen sind. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.11.2004)