Die österreichische Verfassung ist weiterhin in schlechter Verfassung

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Wien – Tag zwei der Präsidiumssitzung des Österreich- Konvents stand am Dienstag ganz im Zeichen der "sozialen Grundrechte". Nationalratspräsident Andreas Khol (VP) überraschte dabei mit einem Entwurf, der beim "Recht auf Arbeit", dem "Recht auf soziale Sicherheit" und dem "Recht auf existenzielle Mindestversorgung" eine Einklagbarkeit vorsieht. Bisher hatte sich die ÖVP immer gegen diese Option ausgesprochen. Diverse andere Grundrechte, wie etwa die "Gleichberechtigung von Mann und Frau", sollen nach wie vor nur in Form von unverbindlichen Staatszielbestimmungen Platz finden.

Wesentlich zurückhaltender fiel am Dienstag der Kommentar der Opposition aus: Hatte sie der ÖVP tags zuvor noch vorgeworfen, den Konvent zum Scheitern zu bringen, ortet SP-Volksanwalt Peter Kostelka nun im Gespräch mit dem STANDARD "leichte Bewegung". Allerdings: "Da steckt der Formulierungsteufel im Detail." Auch die Vizechefin der Grünen, Eva Glawischnig, sprach von "Bewegung bei den Themen". Der Rechtsschutz sei aber weiterhin offen, das VP-Papier treffe "den Punkt nicht". Einklagbar wären damit nämlich nur Bescheide. Bei den sozialen Leistungsrechten – etwa dem Recht auf Bildung – gebe es diese aber häufig nicht.

Auch die weitere Vorgangsweise für die Präsentation des Endberichts wurde im Präsidium diskutiert. Während Konventspräsident Franz Fiedler an einem möglichst konsensualen Text feilschen will, spricht sich Kostelka für das Sichtbarmachen mehrerer Varianten aus. "Schon aus Respekt vor den 70 besten Juristen des Landes", die im Konvent mitgearbeitet haben.

Viel Zeit bleibt nicht mehr, um sich über die wesentlichen Inhalte der Verfassungsurkunde zu verständigen. Bis Ende Dezember soll zumindest ein erster Entwurf des neuen oder modifizierten Dokumentes stehen.

Gereizt "bis aufs Letzte"

Der zweiten Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, Vorsitzende des Ausschusses VIII für demokratische Kont^rollen, fehlt die Vorstellungskraft, dass es zwischen SPÖ und ÖVP noch zu einer Einigung kommen könnte. Was die neue Verfassung betreffe, sei man meilenweit voneinander entfernt. Und Prammer beugt bereits vor: Sie verwahre sich präventiv gegen den Vorwurf der ÖVP, wonach die SPÖ wieder einmal Fundamentalopposition betreibe, nur weil sie einer neuen Verfassung möglicherweise nicht zustimmen werde. Es könne auch nicht sein, dass über eine neue Verfassung diskutiert werde und die ÖVP gleichzeitig demokratische Rechte unterwandere. "Man reizt die Opposition bis aufs Letzte", sagt sie. Ein Scheitern des Konvents hält sie daher durchaus für wahrscheinlich.

Nicht nur bei der Opposition, auch innerhalb der ÖVP sorgte der Kompetenzenvorschlag, den Nationalratspräsident Andreas Khol am Montag eingebracht hat, für Nachwehen. Khol hatte ja einen – in seiner Partei nur rudimentär abgesprochenen Entwurf – vorgelegt, wonach Landesgesetze in Zukunft nur mit "doppelter" Mehrheit von Bundesgesetzen ersetzt werden sollen. Die doppelte Mehrheit soll laut Khol im Bundesrat und durch Abstimmung in den Ländern erreicht werden – konkret sollen die Landeshauptleute eine Art Vetorecht bekommen.

Nicht nur in der ÖVP Niederösterreich sorgte das für Verwunderung. "Als Parlamentarier wäre mir eine Mehrheit in den Landtagen lieber", meint etwa ÖVP-Klubchef Klaus Schneeberger, der für Niederösterreich im Konvent sitzt. Auch im Lebensministerium stößt Khols Vorschlag, das Wasserrecht zu verländern, auf wenig Freude. "Gerade beim Wasserrecht ist es fraglich, ob ein gut funktionierendes System infrage gestellt werden muss", heißt es aus dem Ministerbüro. Khols Vorschlag sei wohl nicht mehr als ein "Diskussionsimpuls", über den "noch sehr intensiv mit den Ländern gesprochen werden muss".

In der Wirtschaftskammer herrscht überhaupt Unverständnis über Khols Papier, das dem der Kammer in wesentlichen Punkten sogar widerspricht. "Khols Vorstellungen machen Betriebsgenehmigungen nicht einfacher", ärgert sich ein Kammerexperte. (kmo, tó, völ/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.11.2004)