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Meles Zenawi, Premier

Foto: APA/Hopi-Media
Wien - Schwierige Nachbarn? Die Frage entlockt Meles Zenawi ein wissendes Lächeln. "Das Risiko, dass die Region konfliktfrei bleibt, ist unglücklicherweise nicht null", erklärt der äthiopische Premier, der Freitag auf Staatsbesuch in Österreich weilte, dann im STANDARD-Interview. Dass insbesondere aus dem "kalten Frieden" mit Eritrea wieder Krieg werden könnte, sei aus seiner Sicht dennoch unwahrscheinlich: "Dieser Konflikt muss mit friedlichen Mittel - und nur mit friedlichen Mitteln - gelöst werden."

Die Grenzziehung zwischen den beiden Staaten allerdings, die eine UN-Kommission nach einem von 1998 bis 2000 geführten Krieg mit 100.000 Toten vorgeschlagen hat, sei ein "Rezept für Katastrophen". Sie sei nicht administrierbar. Dörfer, ja Häuser würden geteilt. "Wir wollen den Plan rationalisieren, dann sollte es kein Problem mehr geben", so der ehemalige Buschkämpfer, der Anfang der 90er Jahre den Diktator Mengistu gestürzt hat und seit 1995 Regierungschef des Landes ist.

Ein zweiter schwieriger Nachbar sei Somalia, das nun erstmals seit zehn Jahren wieder einen Präsident hat: "Dort besteht ein sehr fragiles Friedensabkommen. Besonders mit Blick auf die in Mogadischu festgesetzten islamistischen Terrorgruppen. Auch die Milizen müssen entwaffnet werden, dazu wird es Geld brauchen. Wenn die Somalis Hilfe bekommen, kann das glücken. Wenn nicht, versinkt das Land wieder im Chaos."

"Teil der Wirklichkeit"

Den Islamisten, die auch in Äthiopien mit saudischem Geld missionierten, will Meles Zenawi mit der Jahrhunderte alten Tradition der religiösen Toleranz in seinem Land begegnen. "Die islamistischen Sekten haben bisher auch noch keine größeren Probleme gemacht." Addis arbeite dabei auch mit den USA zusammen, die in regionalen Fragen gelegentlich sogar auf Rat hörten.

Das Image Äthiopiens in Europa - hungernde Kinder mit großen Augen und angeschwollenen Bäuchen - nennt Meles Zenawi "einen Teil der Wirklichkeit, der wie jeder Teil der Wirklichkeit verzerrt ist". Diese Hungernden suchten keine Almosen, sie suchten Unterstützung, um sich selbst zu helfen. Und seit den 80er Jahren hätten es die Äthiopier diesbezüglich weit gebracht - "auch mit der tatkräftigen Unterstützung Österreichs, das uns als Schwerpunktland seiner Entwicklungshilfe gewählt hat".

In der Tat wird ein guter Teil der rasch wachsenden Bevölkerung (72,4 Millionen, jede Frau bekommt im Schnitt sieben Kinder) immer von Nahrungsmittelhilfe abhängig sein. Aber heuer wird es gute Ernten geben und auch ein Wirtschaftswachstum von fünf Prozent. Das soll nach dem Exkommunisten und Verfechter einer "revolutionären Demokratie" gerecht verteilt werden.

Im Mai wird in Äthiopien gewählt. Beobachter klassifizierten die vergangenen Wahlen als nicht frei und fair. Zenawi: "Diesmal sind die Beobachter bereits jetzt eingebunden. Das soll uns nicht noch einmal passieren." (DER STANDARD, Printausgabe, 13.11.2004)