Neben Größen des Method Acting wie Robert De Niro und Al Pacino zählt Meryl Streep seit den 70er-Jahren zweifelsohne zu den stilprägenden Darstellern des US-Kinos: Nach einer prämierten Rolle in der TV-Serie "Holocaust" wurde die 1949 in New Jersey Geborene schnell mit Auftritten in "The Deer Hunter", Woody Allens "Manhattan" oder "Sophie's Choice" zum Superstar. Für letzteren Film erhielt sie den Oscar, einen zweiten für "Kramer gegen Kramer"

Foto: UIP
Ein Gespräch mit Oscarpreisträgerin Meryl Streep – über ihre Rolle in Jonathan Demmes "Der Manchurian Kandidat", über starke Frauen, Kleidervorschriften, amerikanische Politikerinnen, Oscarnominierungen, Zweifel, Ängste und rettende Kinorollen.


Ein Klassiker des Paranoia-Kinos: Der Manchurian Kandidat. 1962 wurde Frank Sinatra darin als Veteran des Koreakriegs zum Opfer kommunistischer Gehirnwäsche. Das Remake Jonathan Demmes geht im Amerika dieser Tage weiter und erzählt über perfide Großkonzerne, deren Interessen im Weißen Haus und einen manipulierten Politiker (Liev Schreiber), der sich von seiner Mutter zum Kriegshelden und Vizepräsidentschaftskandidaten aufbauen lässt. Oscarpreisträgerin Meryl Streep spielt diese ehrgeizige Mutter und Senatorin mit beängstigender Präzision ...


STANDARD: Demmes Film kritisiert das US-Establishment, ohne dezidiert die Republikaner an den Pranger zu stellen. Hätten Sie sich als deklarierte Demokratin eine schärfere Attacke gewünscht?

Streep: Man macht es sich zu leicht, wenn man die Republikaner zu Bösewichten erklärt. Natürlich hätten wir alle gerne einfachen Antworten auf komplexe Zustände. Aber die Wahrheit ist eben immer komplizierter, als uns lieb ist. Beide US-Parteien und beinahe alle Regierungen der "zivilisierten" Welt werden von dem unglaublichen Einfluss des Geldes untergraben. In jeder beliebigen Kultur und Gesellschaft können Sie ähnliche Mechanismen entdecken. Einige Länder betreiben diese Mischung aus Politik und Geschäft bloß ein wenig offensichtlicher als andere ...

STANDARD: An wen dachten Sie bei Ihrer Darstellung – an Hillary Clinton oder gar Margaret Thatcher?

Streep: Weder noch. Ich hätte gerne weibliche Vorbilder für die Rolle gehabt, konnte aber kaum Senatorinnen in den USA finden. Daher habe ich vor allem das Verhalten und Aussehen der männlichen Politiker studiert, denn die brauchen ihren Ehrgeiz nicht so zu maskieren wie die Frauen. In meiner Rolle wollte ich so sein wie sie – skrupellos und gnadenlos direkt.

Natürlich habe ich auch weibliche Politiker beobachtet und dabei ihren immer gleichen konservativen Stil entdeckt – sie kleiden sich in pastellfarbene Kostüme, wollen auf keinen Fall aggressive Farben verwenden und bloß kein Schwarz. Bei den Accessoires gibt es eine Art heilige Dreieinigkeit: Kette, Brosche und Ohrringe.

STANDARD: Welche Extravaganzen darf sich so eine Politikerin auf keinen Fall leisten?

Streep: Eine Senatorin würde als Politikerin nie ernst genommen, wenn sie etwa lange Ohrringe tragen würde. Das wirkt viel zu verrückt. Auf die meisten Menschen wirken weibliche Führungspersönlichkeiten schon verstörend genug, aber wenn sie sich dazu noch sexy anziehen und lange Ohrringe herumbaumeln lassen – das könnten die wenigsten verkraften.

Eine andere eherne Regel: Trage niemals schwarze Kleider, scharfkantigen Schmuck oder originelle Ketten. Alles muss rund sein. Und bloß kein Dekolletee zeigen! Mächtige Frauen müssen in ihrem Auftreten extrem vorsichtig sein. Selbst, ja gerade eine originelle Frau wie Hillary Clinton muss die "Uniform" tragen.

STANDARD: Was macht weibliche Führungspersönlichkeiten so bedrohlich?

Streep: Freud hätte sicher eine Erklärung wie diese parat: Es geht um die Furcht vor der Mutter. Mich faszinierte an der Rolle der Senatorin, dass sie nicht den leisesten Schatten eines Zweifels zu kennen scheint. Sie ist Ideologin, regelrecht Fundamentalistin. Viele Führungspersönlichkeiten haben diese Fähigkeit, sich nur auf das zu konzentrieren, was sie wollen. Frauen wie Thatcher oder Madeleine Albright etwa treffen Entscheidungen, können sie nicht kontrollieren – und bleiben in jedem Fall unerschütterlich.

STANDARD: Wie schwer ist es, eine Figur zu spielen, die keine Zweifel kennt?

Streep: Das war eine Herausforderung, denn als Schauspieler will man eher zerbrechliche, widersprüchliche Seiten zeigen. Ich selbst zweifle an allem! Wenn ich Ihnen jetzt etwas erzähle, fällt mir dazu sofort eine Ausnahme ein. (lacht) Aber irgendwie muss man sich ja festlegen, um weiterzukommen, oder?

STANDARD: Sie haben oft selbstbewusste, starke Frauen verkörpert. Worin unterscheidet sich die Senatorin Eleanor Shaw von Karen Blixen in Out of Africa oder von Karen Silkwood in Silkwood?

Streep: Frauen in politischen Führungspositionen müssen sich in vieler Hinsicht dafür entschuldigen, dass sie es so weit gebracht haben. Eines Tages wird die Gesellschaft gelassener mit ihnen umgehen, sie akzeptieren. Wir machen Fortschritte! (lacht)

STANDARD: Als eine der besten Schauspielerinnen der Welt wurden Sie oft ausgezeichnet. Sind Sie mittlerweile so selbstbewusst, dass Sie kein Lampenfieber mehr haben?

Streep: Nein, ich werde immer noch unglaublich nervös, wenn ich eine neue Rolle spielen soll! Denn ich habe nie das Gefühl, dass ich als Schauspielerin schon etwas "bewiesen" habe. Meine Arbeit ist ein ewiges Experiment, bei dem es keine Gewissheiten und Sicherheiten gibt.

Jeder Künstler kennt diese Befürchtung, Unsicherheit. Auch mein Mann (Don Gummer, seit 1978 mit Streep verheiratet) muss als Bildhauer vor jeder neuen Skulptur immer wieder mit der Angst vor dem kreativen Scheitern zurechtkommen. Genauso wie Schriftsteller gegen die lähmende Vorstellung von der leeren Seite kämpfen müssen. Meine ständigen Selbstzweifel helfen mir wahrscheinlich, den Dingen auf den Grund zu gehen und etwas Neues zu wagen ...aber auch da bin ich mir nicht ganz sicher.

STANDARD: Sie wurden 13-mal für den Oscar nominiert – mehr als jede andere Schauspielerin – aber haben ihn "nur" zweimal gewonnen. Gehen Sie da immer noch mit freudigen Erwartungen zur Zeremonie?

Streep: Ich liebe die Verleihung, aber ich hasse es, vorher das richtige Kleid auszuwählen. Es macht Spaß, weil ich dann jeden im Raum kenne. Schließlich habe ich mittlerweile mit fast allen Schauspielern in Hollywood gearbeitet. Daher müssen sie mir auch ihre Stimme geben!

STANDARD: Können Sie als Mutter von vier Kindern verstehen, dass man seinem Nachwuchs mit allen Mitteln zum Erfolg verhelfen will?

Streep: Ich würde meine Kinder nie manipulieren oder zum Erfolg abrichten. Wir haben in den USA Medikamente, die die Kinder bei Prüfungen leistungsfähiger und mutiger machen. Viele schlaue, gutherzige Eltern sagen sich dann: Okay, ich werde sie meinem Kind nicht für den Rest seines Lebens geben, aber wir würden es doch so gerne sehen, dass er die Aufnahmeprüfung für Havard schafft! Eltern geben ihren Kindern Drogen, um sie nach oben zu bringen. Aus guten Absichten heraus tun die Menschen die verrücktesten Dinge.

STANDARD: Haben Sie jemals mit der Idee gespielt, in die Politik zu gehen?

Streep: Nein, dazu bin ich viel zu unkontrolliert, ungeduldig, unberechenbar und kann schnell explodieren – und ich brauche diese imaginäre Welt des Films. Ohne das Schauspielen wäre ich ein unglücklicher Mensch. Immer wenn ich wegen meiner Kinder einmal eine notwendige Pause eingelegt habe, vermisste ich das Kino schnell.

Ohne meine Arbeit treibe ich ab in eine Art Gefahrenzone. Meine Familie hätte wirklich unter mir leiden müssen, wenn ich keinen Ort gefunden hätte, an dem ich meine inneren Dämonen austreiben und dabei mein Hirn, mein Herz und meine Gefühle ins Spiel bringen kann. Ohne das Schauspielen hätte ich meine Kinder wahrscheinlich gänzlich ruiniert. ( lacht ) (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.11.2004)