Vermutlich war es gar nicht die Absicht der Grünen, wieder einmal eine Neutralitätsdebatte zu entfachen, die derzeit weder notwendig, noch hilfreich ist.

Die Neutralität ist in unserer Verfassung festgeschrieben, die Mehrheit der Österreicher ist damit zufrieden und es besteht kein unmittelbarer Anlass, diese Situation infrage zu stellen. Dass die Neutralität ein Mythos ist, wie Frau Stenzel an dieser Stelle richtig bemerkte, und Österreichs Aktionsraum in der Sicherheitspolitik eingrenzt, ist ein Faktum, steht aber auf einem anderen Blatt.

Wenn man die Äußerungen von Peter Pilz (STANDARD, 8. 11.) von allem Brimborium entkleidet – dem Ruf nach einer "europäischen Friedensordnung", dem unnötigen Anti-Amerikanismus und der pathologisch wirkenden Abneigung gegen die Nato – kommt etwas durchaus Vernünftiges heraus: die Erkenntnis, dass sich Europa den Luxus von 25 parallelen Verteidigungssystemen und die damit verbundene Vergeudung von Ressourcen ganz einfach nicht leisten kann.

Eine schrittweise Implementierung des in den EU-Verträgen seit Langem enthaltenen Zieles einer gemeinsamen europäischen Verteidigung würde es erlauben, ohne zusätzliche Mittel ein höheres Maß an militärischer Einsatzbereitschaft zu erzielen. Damit wäre Europa in der Lage, für seine Sicherheit selbst zu sorgen und darüber hinaus zumindest in begrenztem Rahmen eigenständige Friedensmissionen durchzuführen.

Die Grünen haben recht, dass die Neutralität mit einer solchen Verteidigungsgemeinschaft nicht oder nur aufgrund einer veritablen Interpretationsakrobatik vereinbar ist. Die von Pilz als "Gretchenfrage" bezeichnete Wahl zwischen "Nato und Europa" dürfte außerhalb des österreichischen Mikrokosmos allerdings eher als skurril angesehen werden.

Für die meisten Europäer ist die Nato das bewährte Verteidigungssystem der westlichen Demokratien, dem Europa seine Sicherheit im Kalten Krieg zu verdanken hatte und das sich nunmehr zu einem nützlichen Instrument der internationalen Friedenspolitik entwickelt hat.

Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass die Alliierten in absehbarer Zukunft auf diesen Bonus verzichten werden. Die Entwicklung dürfte viel eher in Richtung einer Einbringung der künftigen europäischen Verteidigung in die Nato gehen.

Reichlich weltfremd klingt der Hinweis von Peter Pilz, dass die Neutralität zunächst "Österreichs Beitrag zur europäischen Sicherheit bleibt".

Glücklicherweise gibt es in Europa einen breiten Grundkonsens zugunsten einer internationalen Friedenspolitik, der politischen Lösung von Konflikten und der Schaffung einer auf verpflichtenden Regeln beruhenden Weltordnung. Darin sind sich alle Europäer einig, ob Nato-Mitglieder, Paktfreie oder Neutrale.

Selbstverständlich muss gerade ein kleineres Land wie Österreich diese Bemühungen mit aller Kraft unterstützen und würde dies auch tun, wenn es nicht neutral wäre.

Ebenso ist es richtig, dass – wie Pilz meint – eine europäische Verteidigung das "Dach" einer gemeinsame Außenpolitik benötigt. Und zwar einer echten, die mit bloßen Symbolen wie dem im Verfassungsentwurf der EU vorgesehenen europäischen Außenminister noch keineswegs sicher gestellt wäre.

Würden die europäischen Regierungen über ihren Schatten springen und auch im Bereich der Außenpolitik auf das System von qualifizierten Mehrheitsentscheidungen übergehen, könnte man diesem Ziel näher kommen.

Zum Schluss ein Wort der Anerkennung: Unabhängig von der Opportunität einer Neutralitätsdebatte ist es erfreulich, dass die Grünen zukunftsorientierte Überlegungen jenseits taktischer Erfordernisse anstellen. Auch im politischen Diskurs Österreichs sollen Visionen ihren Platz haben. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.11.2004)