Robert Menasse im Gespräch: "Der moralische Druck auf potenzielle Staatspreisträger - so lange Schwarz-Blau regiert, darf man nichts annehmen - ist eher gefährlich."

Foto: STANDARD/Matthias Cremer
Donnerstag um 21.00 Uhr wird auf Ö1 die erste Folge der mit dem STANDARD koproduzierten Reihe "Zeitgenossen im Gespräch" ausgestrahlt: Robert Menasse, befragt von Michael Kerbler (Ö1) und Claus Philipp. Lesen Sie hier erste Auszüge...


Wien - Zeitgenossenschaft - für Robert Menasse ist das "ein sehr spezifisches, dynamisches Verhältnis zur Zeit und zu dem Ort des eigenen Lebens - wobei in der Regel nicht so sehr die Zeit das Problem ist, was bei diesem Begriff eigentlich nahe läge, sondern vielmehr der Ort, an dem man lebt . . ."

Zum Auftakt der neuen, monatlich stattfindenden Reihe Zeitgenossen im Gespräch - die Aufzeichnung fand am Sonntag im Großen Sendesaal des Radiokulturhauses statt - unternahm Menasse denn auch mehrere Anläufe zu möglichen Auseinandersetzungen mit dem sehr spezifischen Soziotop Österreich, quer durch Lektüren von Doderer und Canetti, in Hinterfragung typischer heimischer Vereinnahmungsstrategien ("unsere Nobelpreisträgerin!") bis hin zur Frage, ob man heutzutage Staatspreise wirklich ablehnen sollte. Hier ein paar Auszüge aus den Ausführungen des Dichters und Essayisten.

Menasse über heimische Beengtheiten:

"Wenn man in Österreich versucht, seine Bedingungen neugierig zu reflektieren, ist man sehr bald in der Falle. Wenn ich mich als US-Amerikaner meiner Zeitgenossenschaft zu vergewissern versuche, hat das bald Weltgeltung. Als Österreicher kommt man dabei rasch in den Ruch eines Lokalpatrioten oder Nestbeschmutzers, je nachdem, unter welchen Vorzeichen man sich artikuliert."

Über den Mangel an wirklichen Zeitgenossen:

"Ich habe einmal das Fest ,100 Ausgaben News' beschrieben. Was mich da wirklich fasziniert hat: die unglaublich präzise Dramaturgie der Veranstalter. Bürgermeister Zilk auf der Bühne, als Moderator, wie er erklärt, dass er demnächst zurücktreten und beim News-Verlag eintreten wird. Dann hebt er seine vom Bombenattentat zerstörte Hand - und in dem Augenblick ertönt die Melodie "Goldfinger". Hunderte in Gold gewandete Mädchen springen auf die Bühne und werfen das neue News ins Publikum. Ich beobachtete das von einer Loge aus und redete dann mit anderen Menschen: Es ist niemandem irgendetwas aufgefallen. Und deshalb glaube ich: Es gibt nur wenige ,Zeitgenossen'."

Über Essayismus in Österreich:

"Die Bedingungen dafür haben sich in den letzten Jahren radikal verbessert. Es gibt ,Abspielmöglichkeiten' und auch ein gutes Publikum. Und: Je trübsinniger die Zeiten, umso besser ist der Markt für den kritischen Essayismus. Das Problem ist gegenwärtig aber: Durch die Gespaltenheit des Landes hat sich eine Pro-und-Kontra-Dynamik entwickelt, in der die Differenzierungen auf der Strecke bleiben, weil es eher notwendig scheint, ,sich zu deklarieren'. Und das ist fatal. Gerade aufgrund der Wirksamkeit der heimischen Intellektuellen wird auf einmal eine differenziertere intellektuelle Arbeit verunmöglicht."

Über Jelineks Nobelpreis:

"In erster Linie hoffe ich einmal, dass vor allem Jelinek in Hinkunft verstärkt gelesen wird. Bisher war sie ja eigentlich eine ungelesene Literaturikone, von der eine Haltung rezipiert wurde, aber nicht das geschriebene Wort. Zu hoffen, dass aufgrund dieser Auszeichnung eine Aufwertung der österreichischen Literatur stattfindet, durch die Jelinek-Brille, empfände ich hingegen fast bedrohlich."

Über Staatspreise:

"Natürlich darf man die auch heute annehmen. Ein Staat ist ja etwas anderes als eine Regierung. Als ich 1999 den Staatspreis bekommen habe, da gab es noch einen sozialdemokratischen Kanzler: Viktor Klima hat damals bekanntlich auf ziemlich hilflose Weise begonnen, ununterbrochen von Privatisierung zu reden. Ich dachte mir also: Jetzt zeige ich dem Klima, wie man privatisiert. Ich nehme das Geld, zahle es auf ein Treuhandkonto ein und stifte damit den Jean-Améry-Preis für Essayistik. Der wurde mittlerweile dreimal vergeben, und für mich war das gewissermaßen ein Signal für Dinge, die mir wichtig sind. Aber jetzt der moralische Druck auf alle potenziellen Preisträger: So lange Schwarz-Blau regiert, darf man nichts annehmen - das ist eher gefährlich, vor allem für diejenigen, die dieses Geld tatsächlich brauchen."

Über "anstrengende" Zeitanalyse:

"Na ja, alles ist anstrengend. Aber ich finde es manchmal viel anstrengender, etwas nicht zu sagen oder nicht zu diskutieren, weil ein Problem von niemandem gesehen wird. Und dann muss ich eben einen langen Text schreiben. Zum Beispiel jetzt über die Frage: Wir leben heute in einem sozialen, politischen, globalen System ohne Alternativen. Die ganze Moderne hat alles darauf gesetzt, das zu entwickeln: Ein Denken in Alternativen. Selbstbestimmung des Menschen macht ja nur dann einen Sinn, wenn man Alternativen hat. Und heute: Es gibt keine relevanten Unterschiede mehr zwischen den sich anbietenden Parteien. Ausgerechnet im 21. Jahrhundert sind wir zurückgefallen hinter den Beginn der Aufklärung . . ." (DER STANDARD, Printausgabe, 21.10.2004)