Die Filmemacher begeben sich in unterschiedliche Milieus, stellen Verbindungen her – sind selber immer wieder präsent und bringen die Personen, die zuvor Auskunft und Einblick gegeben haben, am Ende zu einer Sichtung des Materials zusammen. Die Reaktionen sind unterschiedlich – manche Entäußerung wird als zu deutlich, als "schamlos" wahrgenommen. Andere geraten in Verdacht, "gespielt" zu haben. Und gerade diese ambivalente Nähe von Spiel und dessen wahrhaftem Kern wird für die Regisseure schließlich ein entscheidender Anhaltspunkt sein.
Wirklich spielen
Cinéma verité, ein wahrhaftiges Kino – der Begriff, in anderem Zusammenhang von Morin geprägt, wird vor allem mit diesem Film in Verbindung gebracht. Die neuen technischen Möglichkeiten – leichte, mobile Aufnahmegeräte für Bild und Ton – erlaubten das Vorrücken der Filmemacher in neue räumliche oder soziale Zusammenhänge.
Aber weder Morin, der sich in den 50er-Jahren eingehend mit den Vermögen des neuen Mediums, mit den animistischen und metaphysischen Konnotationen des Kinos auseinander gesetzt hatte, noch Rouch glaubten an eine ungebrochene Übersetzbarkeit der Wirklichkeit in filmische Sequenzen:
Die Frage, die am Anfang von Chronique d'un été beiläufig fällt – inwiefern bereits die Anwesenheit einer Kamera das Geschehen und die Reaktionen der Menschen davor beeinflusst – ist eine grundsätzliche des dokumentarischen Kinos. Die Antworten darauf sind unterschiedlich.
Rouch selbst – geboren 1917 und im Februar 2004 tödlich verunglückt, Ethnograph und einer der wesentlichen Dokumentaristen des 20.Jahrhunderts – hat sich im Kontext seiner eigenen Arbeit zunehmend dafür entschieden, die Effekte des Apparats zu affirmieren und zu nutzen, seine Protagonistinnen und Protagonisten zum Spielen zu animieren. Aufgesucht hat er sie nicht selten in Afrika, zumal im Niger. Und sein Interesse galt nicht zuletzt den Ritualen – wie zum Beispiel in Les maitres fous (1955), in dem sich eigentümliche Transformationen vollziehen.
Die neuen technischen
Möglichkeiten hat er dafür
verwendet, sich als wendige
Ein-Mann-Einheit zu konfigurieren, die sich dem Geschehen in beobachtender Anteilnahme und "dynamischer Improvisation" nähern sollte. Die
Kamera hat Rouch als einen
Beschleuniger oder einen Katalysator verstanden: "Eine
Art von Katalysator, der uns –
mit Zweifeln – erlaubt, einen
fiktionalen Teil von uns selbst
zu enthüllen, der für mich der
allerrealste Teil eines Individuums ist."
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.10.2004)