Wo heute das MAK Center for Art and Architecture residiert, wohnte früher Rudolf Schindler

Foto: aus dem Buch R.M.Schindler-Bauten und Projekte. Hatje Cantz Verlag.
.... und was der vor 50 Jahren gestorbene Architekt Rudolf M. Schindler mit all dem zu tun hat.


Vor etwa elf Jahren reiste der Chef des Wiener Muasums für angewandte Kunst (MAK), Peter Noever, nach Los Angeles, um irgendwelche dienstlichen Dinge zu verrichten. Kurz vor dem Abflug zurück nach Wien schlug er die LA-Times auf und blieb an einem Inserat hängen: Ein Apartment House des Architekten Rudolf M. Schindler, Baujahr 1939, stünde zum Verkauf, hieß es da. Vier Wohneinheiten. Ganz gute Lage. Käufer gesucht.

Wie auch immer Noever es anstellte: Es gelang ihm, einerseits den Verkäufer in Los Angeles so lange bei Laune zu halten, bis andererseits der bürokratische Instanzenlauf in Wien absolviert und die Ankauffreigabe aller Ministerien erwirkt waren.

Seither gehört dieses "Mackey Apartment House" Schindlers der Republik, und seither wird es regelmäßig von MAK-Stipendiaten für jeweils ein paar Monate genutzt, um in der Stadt der Images, der Bilder, des Kinos die eigene Identität noch einmal anzuschärfen und die eigenen künstlerischen und architektonischen Belange zu präzisieren.

Das ist vor zwei Wochen zehn Jahre her gewesen und war selbstverständlich Anlass, um ein Fest zu feiern. Dieses Fest ging allerdings nicht im Mackey House über die Bühne, sondern in einem ganz besonderen Ambiente, das seinesgleichen sucht: in Rudolf Schindlers eigenem Wohnhaus in West Hollywood, gebaut in den Jahren 1920 und 1921.

Rudolf M. Schindler. 1887 in Wien geboren, 1914 nach Amerika emigriert, hier zu Lande lange Zeit nur wenigen Eingeweihten überhaupt ein Begriff, erst seit den 80er-Jahren nicht zuletzt dank einer großen Ausstellung im MAK auch in Österreich wiederentdeckt als einer der eigenwilligsten und stilprägendsten Architekten Südkaliforniens - neben dem ebenfalls ausgewanderten Kollegen und Freund Richard Neutra.

Das Haus, in dem er bis zu seinem Tod lebte und auch arbeitete, ist das gebaute Manifest eines Architekten, der sich aus den räumlichen und geistigen Engen des damaligen Europa freispielte und sich in das noch verhältnismäßig leere LA begab, um dort seine Visionen Häuser werden zu lassen.

Was Schindler so interessant macht, ist sein völlig kompromissloser Ansatz, die Architektur in jedem einzelnen Detail neu zu denken, von allem Überflüssigen abzuschlanken und sich gegen alle Widerstände - die der Bauinstanzen und die in den Köpfen - durchzusetzen. Das Wichtigste dabei: Im Zentrum seiner Planungen standen der Mensch und eine neue, offene, freie Art zu leben.

Unter der Sonne Südkaliforniens fließen da die Innen- und Außenräume ineinander, kleine Höfe werden zu Wohnzimmern, gläserne Fronten und verschiebbare Wände machen Innenräume zu luftigen Patios - und die betont nüchterne, nackte Konstruktion verstärkt noch den Reiz dieser virtuosen architektonischen Fingerübung. Die auf Fotos so voluminös wirkende Architektur ist tatsächlich überraschend zart, fast klein, die Räume sind geduckt und wirken in der Realität wesentlich bescheidener als in jeder Publikation. Doch das verstärkt ihren Reiz nur noch.

Schindlers Wohnhaus befindet sich heute im Besitz der Schindler Society, die - ebenfalls dank Noevers Engagement - mit dem MAK in enger Kooperation steht und das Haus dem MAK Center for Art and Architecture zur Verfügung stellt. Hier finden Ausstellungen, Lectures, Seminare und vieles mehr statt.

Am Abend des Festes wurde klar, welchen Sinn die auf den ersten Blick abenteuerliche Unternehmung Noevers macht: Mehr als 300 Gäste sahen sich mit gut gemachten Präsentationen des zeitgenössischen österreichischen Architekturschaffens konfrontiert, die Aufmerksamkeit blieb angesichts des heimischen Architektur-Im- und Exports gespannt. Als einer der Festredner trat der Architekt Thom Mayne vor das plötzlich störrisch gewordene Mikrofon, die Rückkoppelungen brachten ihn ins Schwitzen, er entledigte sich kurzerhand seines Schuhwerks, das Mikro blieb störrisch, die Stimmung wurde noch heiterer.

Peter Noever, Franz Morak und andere wichtige Menschen fanden ebenfalls kluge Worte, die eindringlichste Ansprache hielt allerdings eine junge Architektin mit Namen Andrea Lenardin Madden.

Sie war 1996 aus Wien als MAK-Schindler-Stipendiatin nach Los Angeles gekommen, und sie war geblieben. In einer Welt, in der Fassaden und Oberflächen sowohl die Architektur als auch die Menschen prägten, meinte sie unverblümt, in der Stadt der Schönen und der Leinwände sei es wichtig, sich vielmehr Schindlers Inhalten als einem vermeintlichen "Stil" Schindlers zu stellen. Zu leicht könne ein Stil zur Oberflächlichkeit pervertieren, zu einfach sei es, sich der Architektur über Slogans zu nähern.

Wie auch immer Moden und Stile unser aller Leben prägen: Schindlers Wohnhäuser in Los Angeles haben in der jüngeren Vergangenheit nicht nur wegen ihrer zunehmenden medialen Prominenz wieder Hochkonjunktur. Etwa 200 Häuser soll er gebaut haben, rund 100 existieren noch. Viele davon sind bis zur Unkenntlichkeit verbaut, doch die Klientel der Kreativen - Künstler, Filmemacher, Architekten - übernehmen dieses Schindler-Imperium derzeit Schritt für Schritt.

Die Häuser werden sorgfältig restauriert und nach Möglichkeit in ihre Originalzustände rückgebaut. Denn der Inhalt hinter Schindlers hölzernen, gläsernen, betonenen Oberflächen hat die Jahrzehnte überdauert, und er ist in einer Zeit des billigen, rasch hochgezogenen Condominium-Trashs aktueller und begehrter denn je.

Peter Noever, sagte der barfüßige Thom Mayne, sei mit seinem brachialen Naturell ein wichtiger Katalysator für den transatlantischen Transport solcher Inhalte. Die Schindler Society hätte ohne MAK das Haus nicht erhalten können, das MAK hätte ohne Haus kein Kommunikationspodium. Ohne Visionen bleibt jede Existenz Oberfläche, Fassade, inhaltslos. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16./17.10.2004)