Undertow

17.10., 15:30
Gartenbau

18.10., 21:00
Metro

Dandelion

17.10., 24:00
Urania

18.10., 20:30
Gartenbau

Foto: Viennale
Zwei eindringliche US-Independent-Filme, die mit großer Empathie von der unmöglichen Revolte jugendlicher Helden erzählen: Mark Milgards "Dandelion" und David Gordon Greens "Undertow"


Chris (Jamie Bell) ist auf der Flucht, von Anfang an. Der Vater seiner Freundin hetzt ihn durch Felder, an Bäumen vorbei; dann tritt er auf einen Nagel, doch er läuft weiter, mit einem Brett am Fuß. Freeze Frame. Mason (Vincent Kartheiser) kommt nicht vom Fleck, die weiten Landschaften scheinen überwindbar. Er steckt sich einen Revolver in den Mund. Er streckt sich nieder auf Straßen, um die Wärme des Bodens aufzunehmen.

Chris ist der jugendliche Protagonist aus David Gordon Greens neuem Film Undertow, Mason jener aus Mark Milgards Debüt Dandelion. Die beiden Arbeiten verbindet nicht nur ihr Blick auf seltsam entrückte Teenager in einer ländlichen Region der USA, sondern auch der poetische Gestus, mit dem sie reale Lebenswelten transzendieren: Erwachsenwerden begreifen sie als Stadium, in dem jede Handlung metaphysische Fragen aufwirft.

Beide Filme wurden auch vom selben Kameramann, von Tim Orr, fotografiert, der den Landschaften eine elegische Qualität verleiht: In Dandelion sieht man immer wieder den weiten Horizont, die Felder und Gewässer von Idaho in berückend schönen Panoramen; die Jugendlichen wirken darin aufgehoben, umschlossen, aber auch verloren: Ihre nach innen gerichtete Rebellion kommt so noch stärker zur Geltung.

Die Parameter der Erzählung sind im Grunde vertraut, doch Milgard findet ungewöhnliche Akzente: Er zeigt, wie Mason sich von seiner Familie abwendet, die verschuldet durch die Übellaunigkeit seines Vaters gerade zu zerbrechen droht. Wie sich seine Ziellosigkeit mit der Ankunft des Mädchens Danny (Taryn Manning) ändert, dann aber sein Vater einen Betrunkenen überfährt – und Mason dafür im Gefängnis landet.

Dass das Leben oft unerwartete Wendungen nimmt, heißt es später einmal. In Dandelion ist der plötzliche Verlust immer möglich, genauso aber auch eine Form von Versöhnung mit der Welt: Chris und Danny, die für kurze Zeit doch noch ein Paar werden, reiben sich mit unterschiedlichem Ausgang an der Autorität ihrer Eltern. Seine Emphase bezieht der Film – der dabei einer der Folkballaden gleicht, die das Geschehen begleiten – aus der Vergeblichkeit ihres Versuchs, ein eigenständiges Modell zu entwickeln.

Blick auf die Ränder

Undertow wird das familiäre Band dagegen gewaltsam durchtrennt: Als ihr Vater von seinem Bruder Deel (Josh Lucas) ermordet wird, fliehen Chris und sein kleiner Bruder Tim (Devon Alan) mit einem Beutel voll Gold. Green bewegt sich damit zwar nach George Washington und All the Real Girls erstmals innerhalb der Ordnung eines Genres; doch er bemüht weniger eine Spannungsdramaturgie, als dass er auch hier den Blick auf eine Jugend an den Randzonen der Gesellschaft richtet.

Mit seinen bereits charakteristisch schwelgerischen Dialogen beschwört Undertow ein Südstaatenfamiliendrama herauf, dessen nomadisierende Form an jene eines Literaten wie Denis Johnson erinnert – oder auch an den lyrischen Expressionismus von Terrence Malick, der den Film sogar mitproduziert hat:

So sind die Brüder Tim und Chris ein weiteres Beispiel für Greens desillusionierte US-Helden, denen alles fehlt – und die deshalb alles bekommen: eine Ehrenrettung vor den Verwerfungen, die das Leben bereit hält. Ihr Weg führt sie vorbei an den Vertretern eines unteren Amerikas – an einem gemischtrassigen Paar, Obdachlosen und anderen Streunern –, vorbei an Baracken und Müllhalden, und er endet in dem biblischen Bild einer gewaltsamen Taufe. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16./17.10.2004)